Marco GrigoliEin Gastblog vom ehemaligen Weltcup-Skispringer aus dem Engadin Kaum ein Moment vergeht, in welchem die sportliche Karriere eines Athleten in dessen Kopf und Herzen nicht präsent ist. Der Lebenslauf, ein Konstrukt, geformt und geprägt durch den Sport selbst. Etliche Jahre an Vorbereitung, Training und Arbeit, um dem stets gebliebenen Kindheitstraum in kleinen, harten Schritten näher zu kommen. Man verzichtet auf Vieles im Leben und widmet sich kompromisslos seiner Leidenschaft. Der Lohn dafür findet sich in der grenzenlosen und immer wiederkehrenden Adrenalinausschüttung, welche in einem gewissen Masse abhängig macht und in den unbezahlbaren Emotionen, die man rund um den Globus erlebt, wieder. Gerade in Risikosportarten ist man sich stets bewusst, dass der Preis für den eigenen Traum hoch ausfallen kann. Denn innert wenigen Sekunden kann ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit nicht nur den Traum zum Platzen bringen, sondern auch viele lange Jahre harter Arbeit zunichtemachen – die Verletzung. Wann kann ich wieder…? Im ersten Moment nach der Verletzung sind es die Emotionen und der eigene Wille, die einem über den inneren Schweinehund immer wieder eintrichtern, dass es nicht so schlimm sein kann und in absehbarer Zeit wieder alles beim Alten ist. In meinem Fall kam die Hiobsbotschaft ca. 5 Stunden nach dem Unfall, nachdem sämtliche Untersuchungen in Zürich abgeschlossen waren. Obwohl ich eine Auflistung von Bänderrissen, Frakturen und sonstigen Fremdwörtern vor mir sah, war ich immer noch der Überzeugung, dass es lediglich ein Eingriff benötige und ich spätestens im Sommer wieder ins Trainingsgeschehen eingreifen kann. Von der Verletzung bis zur vollständigen Einsicht, dass ich diesen Sport nicht mehr betreiben kann, vergingen rund zwei Jahre. Während dieser Zeit richtete sich meine Aufmerksamkeit voll und ganz auf die Genesung meiner komplexen Verletzung, mit dem Ziel, bald wieder einsatzbereit zu sein. Im ersten Moment bieten das Team und vor allem die Familie die nötige Unterstützung, mit den Umständen emotional umzugehen. Regelmässige Besuche von Freunden und Bekannten optimieren den ungewohnten Alltag. Ich musste mir eingestehen, dass es sich bei meiner Verletzung um etwas sehr Komplexes handelte und der Weg zurück schwieriger wird als gedacht. Ich war gezwungen, ein Teil der Kontrolle und der Verantwortung über meine Verletzung an Menschen abzugeben, welche das nötige Fachwissen besitzen, den Heilungsprozess voranzutreiben. In erster Linie waren es sicherlich die Ärzte, welche sehr schnell handelten und noch am selben Tag eine Operation durchführten und später regelmässig über den Verlauf der Heilung Auskunft gaben. Visiten durch Ärzte sind kompakt und zeitlich begrenzt. Das wichtigste über den Verlauf wird kurz besprochen und im selben Moment verabschiedet man sich vom Visiten-Detachement. Wegbegleiter Erst ab Beginn der Reha-Phase mit Einbezug der Physiotherapie beginnt die strenge aber wertvolle Arbeit hinsichtlich einer möglichen Genesung. Für mich war es von Anfang an klar, dass ich nicht mit einem beliebigen Therapeuten zusammenarbeiten kann. Schliesslich verbringt man mit dieser Person Stunden in Therapiezimmern, spricht über den persönlichen Gefühlszustand und über jene Gedanken, welche man lieber unterdrücken würde. Es war für mich von höchster Priorität in meinem/r Physiotherapeuten/in eine Vertrauensperson zu finden, welche mich nicht nur auf körperlicher Ebene unterstützt, sondern eben auch aus emotionaler Sicht Stabilität in den Heilungsprozess bringen kann. Physiotherapeuten arbeiten nahe und intensiv am Menschen. Ein grosses Vertrauen hinsichtlich des Fachwissens und des Menschen selbst musste für mich vorhanden sein. Irgendwie hatte ich damals das Gefühl, dass ich dies zu gut erkennen vermag und entschied mich bewusst dafür, die Arbeit nur mit einem bestimmten Therapeuten fortzusetzen. Bis heute weiss ich, dass ich mich damals absolut richtig entschieden habe. Die mentale Achterbahn Ich hatte Tage, an denen ich glaubte, bald wieder ordentlich und schmerzfrei gehen zu können und Tage, an denen sich Gedanken breit machten, dass ich aufgrund der diagnostizierten Arthrose später mit den eigenen Kindern nicht einmal mehr vollumfänglich spielen kann. Ich fand keinen wirklichen emotional-stabilen Zustand. Nach einer Weile wurde der Kontakt zum Team immer schwächer, da sie schliesslich im Sportzirkus stark involviert waren und ihren Aufgaben weiterhin bestmöglich nachgingen. Auch in meinen Gedanken distanzierte ich mich immer mehr von meinem Sport und meine Aufmerksamkeit galt dem alleinigen Heilungsprozess, unabhängig meiner sportlichen Karriere. Jeder noch so kleine Fortschritt wertete ich als grossen Erfolg, jeder Rückschlag als grosse Katastrophe. Nach einer intensiven Zeit mit bemerkenswerten Fortschritten kamen aus dem Nichts unangenehme Schmerzen zurück. Keine Schmerzen, welche unerträglich waren aber traten sie in einer Konstanz auf, die mich komplett durchdrehen liess. Wut und beinahe depressive Zustände waren das Resultat konstanter und stärker werdenden Schmerzen. Nach genauer Reflexion mit meinem Physiotherapeuten entschieden wir uns erneut für eine Rücksprache mit dem zuständigen Arzt. Ich kann mich gut an den Gesichtsausdruck des Arztes erinnern, …an welchem ich sofort erkannte, dass etwas nicht stimmte. Ein namhafter, sympathischer und extrem erfolgreicher Arzt schaute mich dermassen unsicher an, als ob er die Kontrolle über Raum und Zeit verloren hätte. Beinahe hatte ich ein schlechtes Gewissen, ihn in eine derartige Situation zu bringen. Er erklärte mir mit ruhiger Stimme und grossem Respekt vor meiner Person, dass die Arthrose stärker geworden sei und eine weitere Operation notwendig wäre, um den Schaden möglichst in Grenzen zu halten. Ab diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass wir soeben den Spatenstich für das Grab meiner sportlichen Karriere getätigt haben. Dennoch traf mich der Shock nicht wie erwartet, denn irgendwie habe ich mich bereits unbewusst auf diesen Moment eingestellt, da mein Körper derartige Signale seit geraumer Zeit ausstrahlte. Obwohl es für mich wohl das absolute worst case Szenario darstelle, fiel in diesem Moment grosse Last von meinen Schultern. Ich konnte mich von den Gedanken befreien, wieder professionell Sport zu betreiben und hatte ab sofort Klarheit und in gewissem Masse die Kontrolle über meinen Gesundheitszustand zurückerlangt. Ich wusste, dass niemand Fehler gemacht hatte und wir gut gearbeitet hatten. Lediglich mein Körper war dieser Aufgabe nicht gewachsen und zeigte mir diesbezüglich klar die Grenzen auf. Nach der Operation ging es für mich bergauf. Ich wusste zwar, dass ich nicht mehr um Edelmetall in meiner Sportart kämpfen konnte, war mir aber im Klaren darüber, dass ich irgendwann wieder schmerzfrei durch den Alltag gehen und bestimmte Hobbies erneut betreiben kann. In der nachfolgenden Zeit wurde aus der Patient-Physio Beziehung eine enge Freundschaft und die Reha ging auf neuer Ebene in die nächste Runde. Der Zeitdruck war weg und wir konnten nachhaltig weiterarbeiten. Mein Physiotherapeut hatte die Begabung, komplexe medizinische Fachsprache dem meinigen Wortschatz anzupassen und konnte mir sämtliche Prozesse rund um meine Reha begründen und erklären. Ich wusste, dass ich dieser Person blind vertrauen konnte. Heute darf ich sagen, dass die Reha ein voller Erfolg war. Obwohl ich mit Einschränkungen umgehen muss, gehe ich beinahe schmerzfrei durch meinen Alltag. Ich weiss, wann und warum Schmerzen auftreten und kann dies sehr gut steuern. Klar gibt es Sportarten, auf die ich ganzheitlich verzichten muss, wie z.B stop-and-go-Sportarten. Hingegen konnte ich nach rund 4 Jahren mit anderen Sportarten beginnen, welche nun verstärkt meinen Alltag prägen. Ein voller Erfolg! Dieser Unfall lenkte meinen Lebensweg in eine komplett andere Richtung. Es ergaben sich neue Chancen, Freundschaften und wundervolle Momente, welche ich als Sportler nicht erlebt hätte. Ich bin kein spiritueller Mensch, aber manchmal kommt tatsächlich alles so, wie es muss. Herzlichen Dank für die persönlichen Einblicke, die du uns in auf deinem Weg gewährst! Wir wünschen dir für deine Zukunft nur das Beste – und einen hochfliegenden Start ins 2020! David & Pascale @Sportphysiotherapeuten, Personal Trainer, Osteopathen, Ergotherapeuten, Trainer, Sporttherapeuten und eigentlich alle, die mit Leistungsportlern arbeiten: Prof. Thorsten Weidig ist im Oktober 2020 zum zweiten Mal in Zürich! In diesem Kurs wird erarbeitet, wie ihr eure AthletInnen auf dem Weg zurück an die Spitze, oder auf einer neuen Route in ihrem Leben ideal unterstützen und begleiten könnt. Wie wichtig dabei die Player Motivation und Kommunikation sind, hat uns Marco eindrücklich geschildert. Tickets gibt’s hier!
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Pascale Gränicher Was hat es eigentlich mit dieser „Evidenz“ bzw. der „evidence based practice (EBM) auf sich? Was kann evidenzbasiertes Arbeiten, wo liegen die Chancen aber auch die Grenzen? Worauf ist zu achten und wie wenden wir evidenzbasiertes Arbeiten in der Therapie an?
„Evidenzbasierte Medizin“ oder evidence based practice wird durch Sackett et al. (2007) folgendermassen definiert: „[Der] gewissenhafte, ausdrückliche und umsichtige Gebrauch der aktuell besten Beweise für Entscheidungen in der Versorgung eines individuellen Patienten“. Gehen wir dieses riesige Thema mal ganz „physiotypisch“ an. Zählen wir also erstmal auf, warum die Umsetzung vielleicht bei anderen funktioniert, aber ganz sicher nicht bei mir/ uns… Als bekannteste Barrieren für die Umsetzung von evidenzbasierter Arbeit in der Praxis gelten:
Was zeichnet eine „evidenzbasierte“ Arbeitsweise aus und wie könnte sie sogar finanziell lukrativ sein?
Anschliessend geht es um die Patientenpräferenzen, wo vollumfänglich über die Therapieoptionen aufgeklärt und die Wahl gegeben wird, die für sie stimmige Therapie auszusuchen. Es geht darum Wünsche und Vorstellungen zu eruieren und zu besprechen. Oftmals hören wir nur das, was unsere eigenen Überzeugungen und Theorien füttert, aber nicht das, was uns der Patient sagen will. Wir müssen besonders mit dem Anspruch der evidenzbasierten Praxis wieder lernen mehr zuzuhören. Der Patient soll seine Probleme auf Augenhöhe mit uns besprechen können. Die Expertise des Therapeuten bleibt davon unberührt, die therapeutische Krone vollzackig und wird zukünftig von den Patienten hoffentlich noch strahlender und beeindruckender wahrgenommen. 😉 Also… was nun?Machen wir uns nichts vor: Evidenzbasiertes Arbeiten ist besonders am Anfang aufwendig und anstrengend. Es erfordert mehr Einsatz als andere Therapieansätze. Dafür ist diese Vorgehensweise ethisch vertretbar, therapeutisch befriedigend, motivierend und steigert deutlich die eigenen therapeutischen Kompetenzen. Was macht EBP mit unserem Beruf? Ist dieses Thema nur eine momentane Mode oder steckt mehr dahinter? Die berufspolitischen Diskussionen zeigen deutlich, wohin der Weg geht und was passiert, wenn wir uns nicht schleunigst mit diesem Thema seriös auseinandersetzen. Wir sollten der Evidenz unsere Aufmerksamkeit widmen und den dringend notwendigen Platz in unserem Therapiemanagement einräumen. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen wählen den Weg der Akademisierung, ein durchweg sehr positives Signal. Wenngleich es auch an vielen Hochschulen im deutschsprachigen Raum qualitativ immer noch deutlich Luft nach oben hat. Trotz so mancher Defizite, ist die flächendeckende Akademisierung aber der richtige Weg und es ist davon auszugehen, dass die EBP deutlich mehr ist, als nur eine Modeerscheinung von ein paar „Physiohipstern“. Es zeigt die vermutlich einzig sinnvolle Zukunft unseres Berufes und den Weg zu einem besseren Standing im medizinischen Bereich auf. EBP kann zu einem immens wichtigen Argument für eine bessere Vergütung werden, wenn die Berufsverbände das Potential und die Möglichkeiten erkennen, welche sich da- hinter verstecken und nicht weiterhin ihr eigenes lukratives Zertifikatesüppchen kochen würden. Eines sollten wir aber nicht vergessen, schlichtweg zur Seite schieben oder unterschätzen:Wir müssen, aller teilweise auftretenden Schwierigkeiten zum Trotz, auch die nicht-akademisierten Kollegen in das therapeutische Boot holen! Nur mit vereinten Kräften können wir den festgefahrenen Wagen Physiotherapie aus dem Dreck ziehen. Das geht nur mit Respekt, Kommunikation auf Augenhöhe, durch die Anerkennung von Ängsten und Vorbehalten und immer wiederkehrender Erklärungen über EBM. Nur dann haben wir eine Chance unseren Beruf in einem überschaubaren Zeitfenster dorthin zu bringen, wo er verdient hat zu stehen. Gewiss sind noch dicke Bretter zu bohren, aber der Vorschlaghammer allein hilft da wenig. Es braucht Zeit, aber es kann sich lohnen. Was denkst Du über EBP? Wir sind gespannt auf Deine Meinung!Hast Du vielleicht sogar Lust bekommen, mehr zu diesem spannenden Thema zu erfahren? Dann bist Du herzlich eingeladen, auf www.science2practice.ch zu klicken und mehr über unser Angebot mit Daniel Riese und seinem „Research to practice“-Kurs vom 14.-15.03.2020 in Düsseldorf zu erfahren. Deine Fragen zu unseren Veranstaltungen stellst Du am besten direkt an science2practice. Wir würden uns freuen von Dir zu hören! Pascale Gränicher In jeder Therapiesitzung alle vier Ohren bereit zu halten und leichtfüssig von der Sach- zur Emotionsebene und wieder zurück zu hüpfen ist Tagesform abhängig (oder überhaupt!) nicht immer einfach.
Ein paar simple Anstösser aus dem (Physio-)Therapie-Alltag, die vielleicht auch deine vier Ohren unterstützen: Tipp 1: Unkompliziert So einfach wie’s klingt: Macht’s euch einfach. Die Patienten geben in den wenigsten Fällen zu, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Und sie sind auch nicht unbedingt beeindruckt, wenn wir Fachchinesisch brabbeln. Bildhafte, simple Erklärungen führen effizienter ans Ziel. Tipp 2: Weniger ist mehr Lieber kurz überlegen, was du dem Patienten erklären willst. Zu viele Details oder zu vertiefte Erläuterungen können eher verwirren. Konzentrier dich auf die wirklich relevanten Facts. Tipp 3: Again and again Wiederholung ist der Schlüssel. Erst wenn wir uns selber nicht mehr hören können, ist die Botschaft beim Gegenüber sicher angekommen. Tipp 4: The importance of being earnestAuf Augenhöhe kommunizieren und dabei möglichst wenig Interpretationsspielraum zulassen. Konkrete Ziele formulieren, eindeutige Hausaufgaben mitgeben (definierter Dosierung). So fühlt sich der Patient ernst genommen und weiss, was er zu tun hat. Selbstwirksamkeit ahoi und Verantwortung langsam abgeben. Tipp 5: Kein «warum» Offene Fragen sind wichtig. W-Fragen die mit «woher, wann, wieviel, weshalb, …» beginnen sind essentiell, um einen unverfälschten Eindruck des Gegenübers zu erhalten. Bei einer «warum»-Frage haben aber manche das Gefühl, sich verteidigen oder rechtfertigen zu müssen. Tipp 6: Vertrauen ist die halbe Miete Empathische Sprache, Fingerspitzengefühl: Nachfragen, ob das Gesagte verstanden wurde. Wiederholen lassen, geduldig bleiben. Blickkontakt baut Vertrauen auf. Nicht wie ein Wasserfall reden, deutliche Formulierungen wählen. …natürlich gibt es auch immer jene Gegenüber, die mit Fachchinesisch, schnellen Themenwechseln, ausgeklügelten Detailerklärungen und herablassendem Fachsimpeln einwandfrei zurechtkommen. Aber upgraden fällt in der Regel leichter 😉. Am 20./21.03.2020 und am 31.10./01.11. 2020 könnt ihr euer Wissen bzgl. Kommunikation und Motivation in der Therapie auffrischen und erweitern: Prof. Thorsten Weidig ist erneut in Zürich! -> Tickets & Infos findet ihr direkt auf Eventbrite oder hier. |
AutorSchreiben Sie etwas über sich. Es muss nichts ausgefallenes sein, nur ein kleiner Überblick. Archiv
September 2023
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