von David Schmidt Wir alle grübeln. Manche mehr, andere weniger. Aber wir kennen es alle und unsere Klient:innen kennen es leider nur zu gut. In der Regel führt Grübeln zu nichts, kann aber sehr belastend und sogar Teil einer depressiven Erkrankung sein. Und demzufolge auch Einfluss auf unseren Therapieerfolg haben. Woher das Grübeln kommt, welche Gegenmassnahmen empfohlen werden und warum ein Erdbeben anfangs eine wesentliche Hilfe für die Wissenschaft war, möchten wir Euch hier aufzeigen. Wir alle haben bekanntlich ein Gehirn. Wenngleich uns dieser Fakt nicht bei Jedem oder Jeder direkt auffallen mag. Unsere Masse im Schädel ist zu mehr in der Lage, als uns nur Schmerzen, Hunger, Kälte und andere Gefahren erkennen zu lassen. Sie erlaubt uns zu denken, positive und negative Gefühle zu entwickeln, diese zu empfangen und auch auszudrücken bzw. darauf zu reagieren. Und zu grübeln. Angelehnt an Paul Watzlawicks (österreichischer Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler, 1921-2007) berühmte Aussage, „Wir können nicht nicht kommunizieren“, können wir aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behaupten, dass wir „nicht nicht denken können“. Prof. Annette van Randenborgh von der Fachhochschule Münster und ihr Kollege Prof. Thomas Ehring von der Universität Münster haben dazu einen wunderbaren Vergleich aus der Tierwelt genutzt: Unser Grübeln ähnelt ihnen zufolge sehr der Ernährungsweise von Kühen. Zugegeben ein etwas befremdlicher Vergleich, aber er passt erstaunlich gut. Ständiges „wiederkäuen“ unserer Gedanken in Ruhezeiten, führt zum immer wiederkehrenden Gedankenkreisen: dem Grübeln. Die Biologie nutzt für das Wiederkäuen die Bezeichnung „Rumination“. Die Psychologie hat diesen Begriff tatsächlich eins zu eins übernommen und beschreibt das unproduktive Grübeln bzw. „Gedankenkreisen“ über Pech, Missgeschicke und widerfahrenes Unglück als ebendiese Rumination. Was ist ruminieren? Beim ruminieren sind wir oft mit bereits Vergangenem beschäftigt, kreisen gedanklich lange um Dinge, die nicht optimal bzw. schief gelaufen sind und beschäftigen uns exzessiv mit unseren, vermeintlich, eigenen Schwächen. Während Kühe in aller Regel beim ruminieren tiefenentspannt sind, macht uns das Grübeln oftmals traurig und wir fühlen uns unseren „eigenen unkontrollierbaren Gedanken schutzlos ausgeliefert“ (Papageorgiou & Wells, 2003). Warum grübeln wir? Es ist ein Phänomen! Einerseits empfinden es die Betroffenen als effektives Problemlösen und gleichzeitig geben sie in Befragungen starke negative Überzeugungen zum Grübeln an. Sie scheinen zwar unterbewusst zu wissen, dass ihnen grübeln nicht guttut, allerdings fehlen ihnen die Mittel und Strategien diesem Teufelskreis zu entkommen. (Watkins & Baracaia, 2001; Papageorgiou & Wells, 2003). Was sagt die Wissenschaft? In einer frühen Arbeit von Nolen-Hoeksema & Morrow (1991) konnte erstmalig festgestellt werden, dass Menschen, die grübeln, eher an Depressionen erkranken als Menschen, die sich für die Methode des Ablenkens entscheiden. Des Weiteren waren mehr Frauen, die eher ruminierten, als Männer, welche zur Ablenkung neigten, betroffen. Im Verlauf dieser Forschungsarbeit konnte Nolen-Hoeksema ein gerade stattgefundenes Erdbeben im Raum San Francisco in ihre Befragung einbauen und einen vergleichenden Nachweis zu depressiven Symptomen vor dem Erdbeben, sechs Wochen und drei Monate danach erbringen. Grübelnde Menschen gaben zu den genannten Zeitpunkten ein signifikant höheres Level an depressiven Symptomen an. Ehring und Watkins konnten 2008 die genannten Erkenntnisse dahingehend bestätigen, dass Rumination das Risiko an einer Depression zu erkranken erhöht, speziell wenn die Betroffenen einer Belastung ausgesetzt sind. Bei bereits depressiv Erkrankten verschlechtert sich zudem die Prognose und die Erkrankung verläuft tendenziell länger und schwerer. Rumination spielt auch bei anderen psychischen Erkrankungen, wie sozialen Ängsten oder generalisierter Angststörung, Schlafstörungen und PTBS, eine Rolle. Welche Anzeichen für übermässiges Grübeln gibt es? Zunächst einmal sei klargestellt: Intensives Denken führt nicht automatisch zu einer pathologischen Rumination und klinisch manifesten Depressionen. Das Hirn darf und sollte auch weiterhin gut genutzt werden. Ein Anzeichen für eine negative Rumination ist es, wenn das Gedankenkreisen zu keinem Resultat führt. Wenn das Grübeln unproduktiv ist. Unproduktives und produktives ruminieren ist laut Watkins (2008) von zwei Faktoren abhängig. Erstens: Handelt es sich um ein positiv oder negativ besetztes Thema? Dieses wird bestimmt vom Inhalt der Grübelgedanken und der Stimmung der betroffenen Person. Sollte die Thematik zu belastend sein, sind konstruktive Ergebnisse leider in weiter Ferne und unwahrscheinlich. Zweitens: In welchem Gemütszustand befindet sich die Person beim Start des Grübelns? Wenn die Person in einem traurigen Zustand beginnt zu grübeln, zeigen sich eher negative Folgen, als wenn der Grübelprozess in neutraler oder positiver Stimmung gestartet würde. Ein weiteres Anzeichen für ein unverhältnismässiges Gedankenkreisen ist die Fokussierung auf abstrakte und nicht spezifische bzw. konkrete Gedanken. Abstrakte Gedanken versuchen allgemeine Regeln für gewisse Situationen zu schaffen und zeichnen sich dadurch aus, dass sie häufig auf «Warum-Fragen» basieren, während konstruktive Gedanken sich mehr auf spezifische Situation mit «Wie- oder Was-Fragen» konzentrieren. «Wie-» und «Was-Fragen» ermöglichen die Planung und Durchführung von spezifischen Handlungen. Das Gedankenkreisen ist bei dieser Art von Fragen, im Gegensatz zu abstrakten «Warum-Fragen», produktiv. Wie erleben Betroffene ihren Alltag? Abgesehen davon, dass Rumination nicht nur ein Begleitsymptom der Depression sein und diese sogar verursachen kann, haben Betroffene noch andere Einschränkungen im Alltag zu bewältigen. Donaldson & Lam (2004) wiesen grössere Schwierigkeiten beim Lösen zwischenmenschlicher Probleme nach. Schlechtere Leistungen bei Konzentrationsaufgaben wie Korrekturlesen (Lyubomirsky, 2003) und größere Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen (van Randenborgh, de Jong-Meyer & Hüffmeier, 2009) waren andere Erkenntnisse zu grübelbedingten Einschränkungen. Darüber hinaus zeigten sich nach einer Phase des Grübelns Beeinträchtigungen des Gedächtnisses: Persönliche Erinnerungen fielen negativer aus und die Teilnehmer:innen hatten größere Schwierigkeiten, sich an spezifische Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit zu erinnern (Williams et al., 2007). Wie führt Grübeln zu einer Depression? Noelen-Hoeksema hat bereits 1991 und erneut 2008, mit ihren Kolleginnen Wisco und Lyubomirsky, den Weg vom Grübeln zur Depression wie folgt beschrieben: Bei trauriger Stimmung denken viele Betroffene über die zugrunde liegende Ursache nach und kommen ins Grübeln. Diese Fokussierung verstärke aber die Traurigkeit, da über weitere Fehler und Missgeschicke aus der Vergangenheit nachgedacht würde. Dadurch steige die «Motivation» für zusätzliches ruminieren. Durch dieses ständige Grübeln wird die Gefahr falscher Alltagsentscheidungen akuter, was erneut zu Stress und Missgeschicken führt. Ein Teufelskreis. Welche therapeutischen Strategien werden empfohlen? Vorweg: Die beliebten Hinweise, «Denk doch nicht so viel nach» oder «Grübel doch nicht dauernd», funktionieren, völlig überraschend, in der Regel nicht. Im Gegenteil. Das Problem verstärkt sich (Wenzlaff & Wegner, 2000). Auch Ablenkung funktioniert nicht gut genug. Was sich hingegen als effektiv erwiesen hat, ist das aus dem Buddhismus stammende meditative «Achtsamkeitstraining» (Broderick, 2005). Achtsamkeitstraining kann auch als «Akzeptanztraining» verstanden werden und ist mittlerweile recht gut erforscht. Es zeigen sich sogar, nur so am Rande erwähnt, positive Effekte in der Onkologie. Aber das wäre einen eigenen Blogbeitrag wert… Eine achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie, welche zwingend von Psycholog:innen/Psychotherapeut:innen angewendet werden sollte, ist bereits jetzt ein Eckpfeiler in der Therapie von Depressionserkrankungen (Segal, Williams & Teasdale, 2018). Kuyken et al. konnten 2010 nachweisen, dass diese Therapieform den Betroffenen Wege aus der Rumination aufzeigt und dadurch die Wiedererkrankungsrate bei Depressiven senkt. Des Weiteren wird den Betroffenen empfohlen, auf «Warum-Fragen» möglichst zu verzichten. Beispiel: «Warum geht es mir schlecht»? Besser wäre: «Was kann ich tun damit es mir jetzt besser geht?» oder «Wie kann ich diese Situation beim nächsten Mal vermeiden?» Wer sich von Euch näher mit dem Konzept «Achtsamkeit» befassen möchte, dem sei zum Schluss das folgende Buch und Interview des US-Amerikaners Jon Kabat-Zinn ans Herz gelegt:
Kabat-Zinn hat unteranderem das MBSR (Mindfulness-Based-Stress-Reduction) program, ein achtsamkeits-orientiertes Stressreduktionsprogramm entwickelt. Die Teilnehmenden lernen Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle oder Sinneswahrnehmungen bewusst wahrzunehmen. Ziel ist es, sich nicht mehr von seinen Gedanken „entführen“ zu lassen, etwa durch Geschichten vom Vortag oder Befürchtungen über das Morgen, sondern bei dem zu bleiben, was gerade ist. Danke das Du es bis hier geschafft hast. Haben Dir die Informationen geholfen? Denkst Du, dass Du die Tipps und Hinweise anwenden kannst? Hast Du etwas zu kritisieren, Verbesserungs- oder Themenvorschläge? Schreib uns an [email protected], auf Facebook, Instagram oder LinkedIn. Wir freuen uns auf Deine Nachricht! Quellen
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AutorSchreiben Sie etwas über sich. Es muss nichts ausgefallenes sein, nur ein kleiner Überblick. Archiv
September 2023
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