von David Schmidt Unzählige Praxisinhabern und Teamleitende haben massive Probleme neue, gut qualifizierte Mitarbeiter zu finden und ihr Team zusammenzuhalten.
Hohe Fluktuationen sind leider keine Seltenheit in unserem Job – so wie in den meisten Gesundheitsberufen. Die sozialen Medien sind randvoll mit Stellenangeboten und die Arbeitgeber hoffen in den bekannten Foren verzweifelt auf Antworten und Gründe zu ihrer glücklosen Suche. Ein möglicher Teufelskreis ist uns allen bekannt: Der Mitarbeiter verlässt die Praxis, bestehende Patienten können kaum - oder nicht im gewohnten Rahmen - versorgt werden. Infolgedessen werden keine neuen Patienten mehr angenommen, der Umsatz sinkt während die Fixkosten gleich bleiben. Das kann prekäre Folgen für das Fortbestehen der Praxis haben. Warum ist es so schwierig passende Angestellte zu finden? Was erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Suche und warum haben manche Praxen einen ständigen Wechsel im Betrieb? Wir (Pascale & David) haben weder bei science2practice noch in unseren hauptberuflichen Anstellungen Mitarbeiterverantwortung. Wir kennen den Druck und die Herausforderungen nicht, haben daher einen grossen Respekt vor Allen die sich in das kalte Wasser Selbständigkeit schmeissen. Das heisst, wir werden hier und jetzt nicht versuchen uns als Fachpersonen aus dem Bereich Human Resources oder als erfolgreiche Praxisinhaber darzustellen. Das sind wir nicht. Wir zitieren lieber tatsächliche Fachleute und Firmen aus dem Rekrutierungsbusiness und werden daraus unsere eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Wir hoffen der Beitrag gefällt und stellt sogar den einen oder anderen Gedankenanstoss dar. Feedback ist erwünscht. ;-) Was ist mit den Arbeitnehmern los? Was sind Kündigungsgründe? Zum Einstieg einige Auszüge aus den Untersuchungsergebnissen des „Engagement Index“ von Gallup, einem grossen US-amerikanischen Marktforschungsunternehmen, und der Untersuchung „Die Zeit ist reif. Glücklich arbeiten“ (23‘000 Teilnehmer weltweit, 2‘400 in Deutschland) des Rekrutierungsunternehmens Robert Half:
Basierend auf Untersuchungen und Aussagen von Robert Half/Personalvermittler (roberthalf.de), Prof. Marina Fiedler, Lehrstuhl für Management, Personal und Information an der Universität Passau und Nico Marks von happinessworks.com sind für deutsche Arbeitnehmer die folgenden drei Punkte die wichtigsten Faktoren für Zufriedenheit am Arbeitsplatz:
Einfach mal Zuhören! Nehmt euch die Zeit und hört bitte regelmässig seriös zu. Mitarbeiter wollen laut Gallup (2013) gehört werden. Vorgesetzte sollen herausfinden was ihre Angestellten gerne und gut machen. Sie wollen entsprechend eingesetzt werden. Sie wollen stolz sein und wertgeschätzt werden, für das was sie tun. Das geht nur über regelmässige und persönliche Gespräche. Wenn das nicht passiert, wird es mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Frustration und Resignation führen. Die innere Kündigung kann folgen, aber mit einfachen Mitteln wirksam verhindert werden. Nutzt es! Den eigenen Führungsstil hinterfragen! 69% der Befragten in der Studie von Robert Harf gaben an, bereits mindestens einmal einen schlechten Chef gehabt zu haben. Gleichzeitig sind aber 97% der Vorgesetzten von ihren eigenen Führungsqualitäten überzeugt. Man sieht, Fremd- und Eigenwahrnehmung unterscheiden sich. Die allerwenigsten Vorgesetzten sind so gut wie sie sich selber sehen. Hinterfrage dein Handeln, sei ehrlich zu dir selbst und verstehe Kritik von Angestellten nicht als Angriff auf deine Person. Besuche Führungsseminare, fang an Fachliteratur zu lesen oder hole dir einen Spezialisten zur Seite der dich coacht. Möglichkeiten für Hilfe und Unterstützung gibt es viele. Es lohnt sich für dich und dein Team. Wie erhöht sich die Chance den passenden Bewerber zu bekommen und Mitarbeiter zu halten?
Wir wünschen dir viel Erfolg bei der Suche und danken für deine Aufmerksamkeit!
1 Kommentar
David SchmidtViele unserer Patienten könnten Bücher zu gut gemeinten Empfehlungen schreiben, die sie bezüglich ihrer Erkrankungen oder Verletzungen erhalten haben. Aus dem Bekannten- und Freundeskreis, von Ärzten oder auch von uns Therapeuten.
Empfehlungen und „Informationen“ zum Beispiel zu erfolgversprechenden Therapieinterventionen, gezieltem Training, gesunder Ernährung, optimalem Schlaf- und Bewegungsverhalten, richtiger und falscher Haltung, - natürlich auch zum Stressmanagement und einigem mehr. In diesen Tagen gerne im Rahmen der hochgejubelten „Patient/Pain Education.“ Aber ist gut gemeint auch gut für die Patienten? Sind wir qualifiziert und befugt diese abzugeben und was, wenn sich diese nachteilig auswirken? Worauf ist bei Tipps und Ratschlägen zu achten? Empfehlungen zu bestimmten Therapien, ob medizinischer oder therapeutischer Natur, sind manchmal ein heisses Eisen. Einerseits orientieren sich glücklicherweise immer mehr Kolleginnen und Kollegen an der Evidenz, was allerdings keine Garantie für einen fallspezifischen Therapieerfolg ist und auch nicht sein kann. Andererseits sind wir, bewusst oder unbewusst, Geiseln unserer eigenen Erfahrungen bzw. unseres BIAS und erzählen teilweise hanebüchenen Unsinn. Natürlich ist unsere persönliche Berufserfahrung, auf die sich die allermeisten von uns sehr gerne und ausführlich beziehen, wichtig. Aber in der Evidenzpyramide ist sie doch der wackeligste Stein. Stellt euch vor ihr seid der Patient und die Therapie ist sinnbildlich ein sich im Bau befindendes Haus. Baut ihr das Fundament eures „Therapiehauses“ lieber auf einem Stein (Einzelmeinung/Fallstudie) oder auf mehreren tausend Steinen (Metastudien)? Eben. Seien wir uns dessen stets bewusst und ehrlich zu uns selbst. Vor allem aber zu unseren Patienten, wenn diese nach „unserer Meinung oder Erfahrung“ fragen! Sie nehmen Zeit und Unkosten auf sich, um zu uns zu kommen, sie vertrauen uns ihre Gesundheit an und verdienen es angemessen behandelt und beraten zu werden. Das gilt selbstverständlich für jede Frage, jede Bitte um Empfehlungen betreffend jedem physiotherapeutisch abdeckbaren Themengebiet. Wir sind aufgrund unserer ganz persönlichen Fachexpertise und unserer Möglichkeiten externe Expertise zu suchen, zu finden und zu nutzen befugt und qualifiziert Empfehlungen abzugeben. Wir sollten dies auch nach Möglichkeit machen und versuchen, die Fragen unserer Klienten seriös und vollumfänglich zu beantworten. Dabei kann es helfen, dass wir uns folgendes zu Herzen nehmen: (angelehnt an Prof. Thorsten Weidig, Sportpsychologe und Daniel Riese, Physiotherapeut MSc und PhD cand.) · Wir müssen in der Lage sein, seriöse und nachprüfbare Quellen für unsere Empfehlungen zu nennen. Nichts ist weniger wert als alles auf die eigene Meinung zu beziehen und damit zu begründen. · Tipps und Empfehlungen sollen auf Augenhöhe kommuniziert werden. Die Wahrscheinlichkeit das unser Gegenüber das Gesagte annimmt steigt deutlich. Kommunizieren wir mit unseren Klienten doch einfach so, wie wir es selber auch erwarten und uns wünschen würden. · Kommunizieren wir offen, ehrlich, wertfrei und vor allem positiv. Wir sollten unser Gegenüber motivieren und in seinen Handlungen stärken, ihn nicht niedermachen, ängstigen und definitiv keine Nocebos einpflanzen. Angst ist kein guter Ratgeber, denn sie ist zumeist unnötig, kann Symptome auslösen oder verstärken und Rehaprozesse verlangsamen bzw. sogar behindern. Bitte beachtet das auch für Beiträge auf den bekannten Kommunikationskanälen (Webseiten, Facebook, Instagram, LinkedIn etc.). · Wir müssen aufpassen, was wir alles so im Internet und auf Social Media finden und schnell mal teilen. Wenn wir uns nicht die Zeit nehmen die Artikel zu lesen und zu bewerten, laufen wir Gefahr Blödsinn und Unausgegorenes zu teilen und weiter zu verbreiten. Das kann nicht in unserem Sinne und dem unserer Profession sein. Es soll natürlich keinen abhalten diesen Blogbeitrag zu teilen ;-) · Lasst uns nur Empfehlungen zu Themen abgeben, bei denen wir tatsächlich auf Draht sind. Wissenslücken sind keine Schande. Informieren wir uns vorher selber in den bekannten Journals und Datenbanken oder lasst uns die nötigen Infos bei Experten besorgen. · Nutzen wir die Bitten und Fragen nach Empfehlungen in Herrgottsnamen nicht dazu, nachgewiesenermassen sinnlose und unnütze Gimmicks zu verkaufen. Natürlich haben wir es verdient anständig bezahlt zu werden und die eigene Wirtschaftlichkeit ist ein hohes Gut, aber bitte nicht zum Nachteil der Patienten. Verkaufen wir das was Sinn und uns ausmacht - unser Wissen - zu einem ordentlichen Preis, aber lasst uns dabei bitte seriös bleiben. Vor allem wenn wir behaupten, evidenzbasiert zu arbeiten… · „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Wenn wir auf Augenhöhe mit den anderen „Playern“ im Gesundheitswesen agieren und von Ihnen als Spezialisten wahrgenommen werden wollen, sollten wir es selber vorleben. Wir sollten deren Expertise anerkennen und respektieren. Wir sind keine Virologen, Chirurgen, keine Pharmazeuten und auch keine Psychologen. Daher sollten wir es auch tunlichst vermeiden, uns so zu verhalten oder meinen so agieren zu dürfen. Ein Vielflieger kann dem Piloten auch nicht erzählen, wie er das Flugzeug zu fliegen hat. Stellt euer Ego hinten an. Am Ende haben jene Therapeuten den grössten Erfolg und werden als kompetent wahrgenommen, die empathisch und sympathisch auftreten. Denen hören die Patienten gerne zu und sie setzen die erhaltenen Empfehlungen wahrscheinlich auch eher um. Wer zu forsch, unfreundlich, besserwisserisch auftritt oder Empfehlungen abgibt nach denen gar nicht gefragt wurde oder schlichtweg keinen interessieren, der wird schlussendlich in der Therapie kaum eine Chance haben. Unsere Therapie sollte sich durch Empathie, seriöse und belegbare Informationen und Empfehlungen und angepasstes Training auszeichnen und wird langfristig so auch uns zufriedenstellen. Geht positiv und unvoreingenommen an eure Patienten ran. Egal was auf der Diagnose steht oder welche Vorurteile durch so manche Patienten wie auch immer ausgelöst werden sollten. Nehmt sie wie sie sind, akzeptiert ihre Schwächen, freut euch an ihren guten Seiten und behandelt sie seriös, sympathisch und mit Respekt. Dann kommen dabei hoffentlich auch die passenden Ergebnisse raus und unsere Arbeit macht direkt mehr Spass. Stimmt ihr uns zu oder was sind eure Vorstellungen zu diesem Thema? Wir sind gespannt auf eure Meinungen! David Schmidt Viel hat man in den letzten Jahren über das Thema Einsamkeit gesprochen. Es wurden Bestseller geschrieben, Studien erstellt, Talkrunden im TV durchgeführt und sogar speziell ausgerichtete Abteilungen in Ministerien gegründet. Durch die Corona-Krise und dem damit verbundenen Lockdown, ist die Gesellschaft aber das erste Mal wirklich mit dem Thema Einsamkeit konfrontiert worden. Das erste Mal war und ist sie für eine breitere Masse der Gesellschaft spürbar. Aber wer von uns weiss wie Einsamkeit definiert wird, welchen gesellschaftlichen Stellenwert sie hat und warum sie auch für unsere therapeutische Arbeit von Bedeutung ist? Seien wir ehrlich, kaum einer von uns kennt sich mit Einsamkeit/Vereinsamung detailliert aus, oder? Fangen wir also an, unsere Lücken mit Wissen zu füllen! Los geht es mit der Definition: Einsamkeit wird als „unerfüllter Wunsch nach engen Bindungen zu anderen Personen, welcher ein subjektiv negatives Gefühl auslöst“ beschrieben (Quelle: Encyclopedia of Mental Health, 1998). Hält dieser Zustand dauerhaft an, spricht man von Vereinsamung (Quelle: Hospiz-Dialog NRW, 2015). Allerdings sollte man vorsichtig sein und das bekannte Alleinsein nicht als Einsamkeit falsch verstehen. Alleinsein ist ein neutraler und manchmal sogar positiv empfundener Zustand der Abwesenheit anderer. Jetzt werden viele von Euch an so manche Personen im eigenen Umfeld denken und genüsslich nicken… Basierend auf einer Umfrage der Europäischen Kommission aus 2018 mit 28’000 EU-Bürgern zu diesem Thema, geht man von ca. 41 Millionen EU-Bürgern (ca. 8 Millionen in Deutschland laut Institut der deutschen Wirtschaft im IW-Kurzbericht 2019, Zahlen für die Schweiz liegen nicht vor), bzw. 8% der Gesamtbevölkerung, aus, die sich als einsam bezeichnen. Der grösste Anteil einsamer EU-Bürger lebt in Südosteuropa Bulgarien liegt dabei mit 20% Einsamen an der Spitze. Es mag überraschen das besonders dieser Teil Europas (Rumänien 16%, Griechenland 12%, Kroatien 12% und Italien 9%;), mit seinen vermeintlich starken familiären Strukturen, offenbar wenig Halt für die Betroffenen zu geben vermag. Den geringsten Anteil einsamer Einwohner weisen ebenfalls unerwartet die Niederlande (3%), Dänemark (3%) und Schweden (5%) auf. Länder die für ihren gesellschaftlichen Individualismus bekannt sind. Woran liegt das? Hansen et al. haben sich 2019 dieser Frage angenommen und kamen zu dem Schluss, dass kollektivistische Länder das Wohlergehen sozialer Gruppen tendenziell dem Einzelnen überordnen und daher Einsamkeit dort eher vorkommt. Wer sich in diesen Gruppen gut integriert fühlt ist weniger oft einsam, als diejenigen die das Gefühl haben, nicht so eng miteinander verbunden zu sein. In individualisierten Ländern wie den Niederlanden und Dänemark geht man davon aus, dass die Gründe für Einsamkeit/Vereinsamung anders gelagert sind. Dort sind Menschen nicht gezwungen dem Gruppenideal zu entsprechen, müssen sich dafür aber mehr Mühe geben und einen höheren Aufwand betreiben, um enge qualitative Beziehungen aufzubauen. Diejenigen die den Aufwand nicht betreiben, haben ein erhöhtes Risiko zu vereinsamen. Wie es mit Studien halt so ist, gibt auch eine die der genannten widerspricht. Barreto et al. haben 2020 in einer Umfrage unter 46’000 Teilnehmenden das gegenteilige Ergebnis geliefert, allerdings war diese Arbeit grossteils auf England beschränkt und nicht repräsentativ für andere Länder. Unauffällig einsam Zusammenfassend kann man sagen, dass diese trockenen Zahlen eine unglaublich hohe Anzahl Menschen repräsentieren, die still und leise vor sich hin leben oder auch leiden, ohne dass der Grossteil der restlichen Gesellschaft sie bewusst als einsam wahrnimmt. Welche Folgen das für uns Therapeuten hat, dazu kommen wir gleich. Einsame Therapeuten? Wir Therapeuten sind täglich mit vielen Menschen in Kontakt. Manche wachen bereits neben einer Person auf, ob gewollt oder ungewollt, andere treffen auf dem Weg zur Arbeit und spätestens dann dort am Arbeitsplatz auf andere Individuen der Gattung Homo sapiens. Abends zu Hause wird dann oftmals noch in sozialen Netzwerken jeglicher Art gesurft, bevor es ins Bett geht und das Hamsterrad sich wieder aufs Neue beginnt zu drehen. Da stellt sich doch folgende Frage: Sind wir Therapeuten durch unsere Vielzahl an zwischenmenschlichen Interaktionen automatisch vor Einsamkeit sicher? Klare Antwort: Nein. Auch wir können betroffen sein. Es ist wichtig zu wissen, dass die Anzahl und Häufigkeit an sozialen Kontakten, zum Beispiel in sozialen Netzwerken oder im Freundes- und Bekanntenkreis, keinen Einfluss darauf haben, ob wir uns einsam fühlen oder nicht. Manch eine/r ist trotz vieler sozialer Kontakte einsam, andere brauchen nur wenige Menschen um sich nicht einsam zu fühlen. Es gibt also keine definierte Schwelle, ab wann jemand einsam ist. Jede/r reagiert anders. Schlussendlich bleiben nur Befragungen und zu denen kommen wir jetzt. Einsamkeit quantifizieren Führend in der Erforschung der Einsamkeit/Vereinsamung sind die Briten. Seit 2018 haben sie, wie oben erwähnt, eine eigene Abteilung für Einsamkeit im Kulturministerium. Sie waren die ersten, die dieses offenbar weit verbreitete Problem ernst nahmen und mit ihren Untersuchungen dafür gesorgt haben, dass auch wir vom generierten Wissen profitieren können. Deren Untersuchungen ergaben, dass Einsamkeit durch alle Alters- und Bildungsschichten geht. Es betrifft Frauen und Männer, Stadt- und Landbewohner (Stadt<Land). Eine erste wichtige und gute Erkenntnis: Einsamkeit scheint, trotz unterschiedlicher Meinungen, gesamthaft nicht wirklich zuzunehmen. Sie wird aber auch nicht weniger. Sie ist eine Konstante. Sie ist und bleibt in allen Gesellschaftsschichten deutlich messbar präsent. Die höchste Rate einsamer Menschen (9% aller Einsamen) sind überraschenderweise die ach so vernetzt agierenden unter 24-jährigen und je älter wir werden, desto tendenziell besser scheint es sogar zu werden. Von einer „Einsamkeitsepidemie“ zu sprechen, wie es Manfred Spitzer 2018 in seinem Buch „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“ getan hat oder wie Christopher Masi von der University of Chicago behauptet „Einsamkeit sei auf dem Vormarsch“, wird von den britischen Vergleichsstudien nicht bestätigt. Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass das Beschwerdebild Einsamkeit Züge einer chronischen Erkrankung aufweist. Die körperlichen Folgen werden weiter unten aufgeführt. Wie wird man einsam? Einsamkeit kann im Laufe eines Lebens immer mal auftreten und auch wieder verschwinden. Wichtig ist es, den Zustand der oben definierten Vereinsamung zu verhindern. Die häufigsten Auslöser sind Ereignisse, die die Lebensumstände verändern. Dazu können Umzug, Jobverlust, Trennung, Scheidung, Mobbing, finanzielle Probleme, Todesfälle, persönliche Verhaltensmerkmale (Aufführung weiter unten) und paradoxerweise auch die Gründung einer Familie gehören (Luhmann & Bücker, 2019). Die erstgenannten Gründe sind sicher nachvollziehbarer als der letzte. Warum sollte eine Familiengründung, die Keimzelle der engsten und meist gewünschten Bindungen, negative Folgen haben können? Die Gruppe um Bücker führt an, dass die Einsamkeit im ersten Jahr nach der Kindsgeburt tendenziell besser wird, sich aber mit dem zweiten Jahr wieder verschlechtert. Die aufgeführten Gründe sind insbesondere die verkümmernden sozialen Kontakte und fehlende institutionelle Hilfestellungen. Dieser Mangel kann dazu führen, dass sich die Betroffenen eher gesellschaftlich ausgeschlossen fühlen. Daher dürfen und sollten auch „glückliche“ Eltern bei auffälligen psychischen Verhaltensweisen bzw. Befunden nach dem allgemeinen Befinden und speziell auch auf eine mögliche Einsamkeit hin angesprochen werden und entsprechende Optionen aufgezeigt bekommen. Wer das derzeit ständig benutzte und zitierte biopsychosoziale Modell in der Therapie tatsächlich leben will, kommt am Punkt Einsamkeit/Vereinsamung demzufolge nicht länger vorbei. Vielleicht denkt jetzt so manch Eine/r von Euch:
Wer weniger als 1136 € monatlich zur Verfügung hat, gilt in Deutschland als arm. Manch ein Therapeut, besonders im Osten der Republik, ist davon leider gar nicht so weit entfernt. Oft hört man die Binsenweisheit Menschen in armen Ländern seien glücklicher. Wir haben keinen Beleg gefunden, dass das stimmt. Eher das Gegenteil scheint näher an der Wahrheit zu liegen. Die einsamsten Europäer finden wir in Bulgarien, Rumänien und Griechenland. Alles Länder die nicht bekannt sind für ausufernden Reichtum und weit verbreitete Dekadenz. Sicher aber ist: Wenn ein Mensch in verhältnismässig reichen Gesellschaften, wie denen in Europa, verarmt, ist er oder sie deutlich eingeschränkter in seiner oder ihrer Teilnahme an gesellschaftlicher Interaktion. Er oder sie kann sich soziale Kontakte schlichtweg nicht mehr leisten. Einsamkeit und Vereinsamung können die bittere Folge sein. Krank und einsam Kranke Menschen in Deutschland berichten zu 18% über Einsamkeit. Mehr als doppelt so viel wie der Bundesdurchschnitt. (Eyerund & Orth, 2019) Häufig sind lang anhaltende Beschwerden und Krankheiten einhergehend mit körperlichen (Beweglichkeit/Ausdauer/Leistungsfähigkeit) und finanziellen Einschränkungen, die wiederum das Gefühl der Einsamkeit verstärken. Einsamkeit kann zu deutlichen und relevanten körperlichen Symptomen führen, die durchaus denen von permanentem Stress gleichzusetzen sind:
Es ist umstritten ob Einsamkeit ein Persönlichkeitsmerkmal darstellt, allerdings scheinen folgende Charaktereigenschaften bei einsamen Menschen gehäuft vorzukommen:
Veränderte Schmerzverarbeitung durch Einsamkeit Wenn ihr Euch diese Symptomliste und die assoziierten persönlichen Merkmale anschaut, gilt natürlich wie immer: Nicht jeder Patient hat oder zeigt alles und die Ausprägung von Beschwerden ist sehr variabel. Trotzdem fallen uns Korrelationen auf, die wir zum Beispiel von akuten und chronischen Schmerzpatienten kennen. Ein hohes Stresslevel, Schlafprobleme, Bewegungsmangel und eine schlechte Regenerationsfähigkeit haben einen direkten Einfluss auf die Wahrnehmung bzw. Ausbreitung der Symptome und natürlich auf die Effizienz unserer Therapie. Selbst den wenigen, noch rein strukturorientierten, Therapeuten unter uns sollte jetzt auffallen, wie wir unsere Therapie mit dem Wissen um Einsamkeit/Vereinsamung noch besser bzw. langfristig erfolgreicher gestalten könnten. Vielleicht hilft es auch einfach nur, etwas weniger enttäuscht bei frustrierenden Verläufen zu sein. Ihr seid nicht immer schuld, wenn es zu keiner Verbesserung kommt. Manche Umstände lassen sich zum Teil einfach nicht korrigieren. Das gilt es, wenn man vorher die empfohlenen Therapieoptionen befolgt hat, zu akzeptieren. Warum sprechen die Betroffenen eigentlich so selten offen darüber? Einer britischen Studie aus dem Jahre 2018 unter 2’001 Jugendlichen und jungen Erwachsenen (16-25 Jahre alt) zufolge, wurden am häufigsten die folgenden Aussagen bestätigt:
Die Schamgrenze, bei Frauen höher als bei Männern, scheint daher derart hoch zu sein, dass wir nicht erwarten können das unsere Patienten von selber uns davon erzählen. Wir müssen bei Verdacht (Merkmale/Symptome etc.) gezielt nachfragen! Da nur 19% der Betroffenen das Gefühl haben Ernst genommen zu werden, sollte man es entsprechend professionell empathisch und ernsthaft erfragen. Was sind empfohlene Therapieoptionen für Patienten, Kollegen oder Freunde die unter Einsamkeit/Vereinsamung leiden? Allgemeine Tipps:
Wollt ihr mehr zum Thema Psychologie und Kommunikation erfahren, ohne dass Gefühl zu haben als Psychologen tätig sein zu müssen? Machen Euch gewisse Patientengruppen Mühe oder würdet ihr schlichtweg gerne einen „roten Kommunikationsfaden“ an die Hand bekommen?Wir können Euch da Prof. Thorsten Weidig sehr empfehlen. Thorsten wird Euch vom 31.10.-01.11.2020 (in Zürich) im Kurs „Training und Reha aus sportpsychologischer Sicht“ ganz nach dem Motto „Reden statt Jammern“, effektive Kommunikationstechniken an die Hand geben, um die Adhärenz von Euren Patientinnen und Patienten zu verbessern und damit Eure Therapie- und Trainingsergebnisse positiv beeinflussen zu können. Alle weiteren Infos findet ihr wie immer auf www.science2practice.ch. Ansonsten schreibt uns gerne an info@science2practice.ch oder ruft uns einfach an: +41786420597.Wir freuen uns immer von Euch zu hören und vielen Dank für Euer Interesse! Pascale & David Pascale Gränicher Der Jojo-Effekt der Physiotherapie – Teil 1
Jeder der schon einmal in der Physiotherapie war kennt das: Man bekommt (hoffentlich) ein Übungsprogramm mit einer Empfehlung, wie oft und wie intensiv das Training absolviert werden soll. Während der ersten, zweiten, dritten oder sogar vierten Physio-Verordnung macht man vielleicht noch mehr oder weniger regelmässig seine Hausaufgaben. Wenn dann die Therapie abgeschossen wird – meistens aufgrund von erreichter (momentaner) Beschwerdefreiheit (jeey) – verschwindet der Papierschnipsel irgendwo in der Schublade, in einem tiefen Nebentäschchen des Turnbeutels oder landet direkt im Müll. Denn das Problem ist ja jetzt gelöst. Lustig eigentlich. Denn manchmal mag es tatsächlich der Fall sein, dass der ursprüngliche Grund der Beschwerden über den Zeitraum der Therapie verschwunden ist. In vielen Fällen aber – gerade bei der «Volkskrankheit» Rückenschmerzen, kommen das Zwicken, Drücken, Stechen oder Brennen so sicher wie ein Bumerang wieder zurück. Denn den Schmerzen liegt meistens nicht ein strukturelles, sondern ein habituelles Problem zu Grunde: der Bewegungsmangel. Und der löst sich nicht über ein oder drei oder zehn Verordnungen Physiotherapie! Ist ja nett, dass man während dieser Therapie-Phase ein paar Übungen macht, sozusagen im günstigen Personaltraining und seine Wirbelsäule danach besser spürt, vielleicht sogar die ominösen tiefen Bauchmuskeln kennen lernt. Aber das Bewusstsein, woher die Schmerzen kommen, wird in den meisten Fällen nicht entwickelt. Und eine Zahnbürste zu erhalten, ohne zu wissen wofür das gut sein soll, hilft nur solange, wie einem die Zähne geputzt werden. Macht nämlich auch kein Spass, aber wir haben mal verstanden, dass es eben nötig ist. Wenn der Rücken das nächste Mal schlapp macht, sucht Herr oder Frau Rückenschmerzen lieber wieder den Arzt auf und lässt sich eine frische Runde Physiotherapie verschreiben, anstatt die verstaubten Übungen aus der Schublade zu ziehen. Und weiter geht’s: Zurück auf Feld 1. Um ehrlich zu sein, finde ich es als Physiotherapeutin erstaunlich, dass sich diese Jojo-Patienten nicht langweilen… Aber das verhält sich vielleicht gleich wie bei der Diät: Die nächste wird bestimmt die Richtige sein! Und ja keine langfristigen Gewohnheiten ändern – das könnte ja noch etwas nützen… Der Jojo-Effekt der Physiotherapie – Teil 2 Es ist ein besonders schönes Erlebnis, wenn man als Physiotherapeutin eine ehemalige Patientin im Fitnesscenter antrifft und sie über 3 Jahre nach Therapieabschluss weiterhin mindestens zweimal pro Woche ihre Übungen macht! Liebe Dara.: You made my day! Dara betont, dass sie auch in einer 6-Tage-Woche auf keinen Fall auf ihr Training verzichteten möchte und hat sogar ein eigenes Trainingssystem mit Hilfe von Karteikarten entwickelt. So trainiert sie jede Muskelgruppe regelmässig und kann die «erledigten» Übungen auf das jeweilige Häufchen ablegen. Das hilft, meint Dara, um die Übersicht zu halten und nicht nur die Lieblingsübungen zu machen. Um sich selber auszutricksen sozusagen. Noch ‘ne Runde? Dara kam mit verschleppten Kniebeschwerden in die Physiotherapie. Ihr Ziel war es, wieder joggen zu können. Das war zum Zeitpunkt unseres Erstbefundes nicht möglich. Die Röntgenbilder zeigten Abnutzungserscheinungen im Tibofemoralgelenk. Die Arbeit in der Spitex forderten ebenfalls ihren Zoll. Dara war zu Beginn skeptisch gegenüber einem erneuten Anlauf in der Physio – hatte sie doch schon (weniger gute) Erfahrung mit unsereins gemacht. Und die Diagnose war auf dem Röntgenbild ja augenscheinlich – Knochen auf Knochen – das sollte man besser nix belasten, oder? Aufklärung und Erklärung warum wir was machen ist ein essentieller Bestandteil der Physiotherapie. Erst wenn die Patienten verstehen, warum wir welche Intervention als indiziert erachten und welche Rolle sie selber im Rehaprozess spielen (nämlich die Hauptrolle), ist ein erfolgreicher Verlauf (für beide Seiten) möglich. Wir Therapeuten sind nur Regisseuren. Wir geben Empfehlungen, spielen exemplarisch vor, leiten an und korrigieren. Mit abnehmender Häufigkeit und Intensität. Aber spielen muss der Patient selber. Die das können wir nicht für ihn. Und das will geübt sein. Regelmässig. Use it and use it Mit Dara fokussierten wir in der Therapie zu Beginn auf einen dosierten Belastungsaufbau und starteten ganz niederschwellig im koordinativen Bereich. Dara war selber erstaunt, dass sie gewisse Muskelgruppen anfänglich kaum ansteuern, geschweige denn in einer Bewegung zueinander koordinieren konnte. Die raschen Fortschritte durch das fleissige Üben motivierten die 40-jährige und überzeugten sie von der Wichtigkeit des (Kraft-)Trainings – auch für sie als Ausdauersportlerin. Nach und nach konnte intensiver dosiert werden und Dara kam nicht nur neuromuskulär, sondern auch konditionell an ihre Grenzen. Diese wusste sie aber gekonnt zu überspringen und pushte sich weiter. Neben dem Krafttraining lernte Dara das Gehen aus einer neuen Perspektive kennen. Eine allgegenwärtige Bewegung, die uns in die einzelnen Bewegungsabläufe unterteilt doch so fremd erscheint. Nach und nach konnten über das Lauf-ABC erste Joggingversuche gestartet werden. Und siehe da: Die Knieschmerzen blieben aus. Das extensive Intervalltraining mit Gehpausen erlaubte es Dara, sich schrittweise ans Joggen heranzutasten. Ein ausführliches Aufwärmen aller beteiligten Muskelgruppen spielte dabei stets eine wichtige Rolle. Parallel dazu spickten wir das Krafttraining mit explosiven und später reaktiven Komponenten. Selbst ist die Frau Zu betonen gilt es, dass Dara während der niederfrequenten Physio-Termine ihr Training zuverlässig und regelmässig ausübte und wir uns während der Therapielektion auf die Intensivierung, Justierung und den Feinschliff konzentrieren konnten. Dass sich Dara bei Therapieabschluss eine selbstverständliche Trainingsroutine angeeignet hatte, freute mich natürlich schon dazumal sehr. Sie hatte realisiert, dass sie alleine für ihr Knie verantwortlich ist. Dara konnte zweimal pro Woche beschwerdefrei ihre Joggingrunde absolvieren und war auch im Alltag ohne Schmerzen unterwegs. Der Transfer war geglückt. Rück(en)spiegel Dass Dara auch über 3 Jahre nach Therapieabschluss an ihrer Trainingsroutine festgehalten hat, ist natürlich unglaublich erfreulich. Umso mehr, als dass sich ihr Knie schon hin und wieder meldet, wenn sie mal ferienhalber nicht so konsequent im Fitnesscenter ist. Aber sie weiss was sie zu tun hat, um das Knie im Griff zu behalten. Und mit diesen Werkzeugen ausgestattet, dreht Dara beschwerdefrei ihre Joggingrunden. Herzlichen Dank für das tolle Feedback liebe Dara! Sie ist ein Musterbeispiel für eine Patientin, die Verantwortung übernimmt und sich bewusst ist, dass sie alleine die Zügel in der Hand hält. Wir können den Patienten die Werkzeuge bereiten und die nötige Unterstützung beim anfänglichen Einsatz bieten, aber benutzen müssen sie sie selber (wollen). Und verstehen, warum der Rücken wieder schmerzt, wenn sie es nicht tun. Pascale Gränicher Die Publikation des Faktenblattes des BAG hat mir einige Fragezeichen auf die Stirn gemalt. Geht es anderen Physiotherapeuten auch so?
Wir befinden uns in einer Krise, ok. Physios dürfen nur noch «Patienten mit medizinischer Dringlichkeit behandeln» und es ist dabei «die gleiche Behandlungsqualität wie bei einem direkten physischen Kontakt mit den Patientinnen und Patienten sicherzustellen“. Somit sollten sich für die über Video behandelte Person keinerlei Nachteile im Vergleich zur Therapie in der Praxis ergeben, oder? Weiter schreibt das BAG in Bezug auf die Videobehandlungen: „Leistungen der Physiotherapie, die auf räumliche Distanz erbracht werden können, beschränken sich auf Massnahmen der Beratung und Instruktion“. Eine Gelegenheit, um bereits den Blick auf die Zeit nach der Corona-Krise zu werfen? Schätzungsweise 80-90% der physiotherapeutischen Behandlungen im ambulanten Bereich könnten somit theoretisch per Video-Call durchgeführt werden, nicht? Denn ich stimme dem BAG zu, in einem Video-Call kann ich einen Patienten wunderbar in seinen Übungen instruieren, korrigieren und zu seinem Problem beraten. Klar ist es schöner, wenn man sich die Hände schütteln darf, und ganz alle Interventionen funktionieren über die räumliche Distanz natürlich nicht. Aber die Behandlungsqualität soll ja in der aktuellen Krise gewährleistet bleiben und muss auch aus meiner Sicht durch die physische Distanz nicht unbedingt leiden. Was kostet UNS THERAPEUTEN die Video-Behandlung? Den Tarif, welche die Physiotherapeuten nun für die Videobehandlung abrechnen dürfen, beträgt weniger als die Hälfte des regulären Sitzungstarifs (7340 Medizinische Trainingstherapie anstelle 7301 Einzelsitzungspauschale). Zu betonen gilt es, dass es sich bei diesen Patienten ja um jene «mit medizinischer Dringlichkeit» handelt. Ich bin überzeugt, dass die Physiotherapeuten diese Menschen auch ohne Eid und trotz einer Entschädigung, die unter 50% der bescheidenen Norm liegt, wenn irgendwie möglich, weiterbehandeln. Appelliert das BAG hier an uns Gutmenschen? Denn mit dieser Vergütung muss ich mir schon überlegen, ob ich meine Zeit während der Krise nicht besser in etwas anderes als die Betreuung von «Patienten mit medizinischer Dringlichkeit» investiere? Einfach nur schon, weil es sich überhaupt nicht lohnt? Obwohl, unter dem MTT-Tarif müsste ich als Therapeut ja eigentlich nur die Kamera einstellen und könnte mehrere Patienten gleichzeitig trainieren lassen? Aber das ist ja wohl auch nicht die Idee… Oder? Für mich als Therapeutin ergibt sich für die Videobehandlung genau der gleiche Aufwand:
Notnagel oder Chance? Wenn wir nochmals zurückkommen auf «die Zeit nach der Krise»: Wäre es nicht eine Idee, einen neuen Tarif «Videobehandlung» anzugehen? Mit fairer Entschädigung? Die ausnahmslose Regel sollte diese Form der Fernbehandlung nicht werden, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sehr viele Patienten froh wären, in einer fortgeschrittenen Phase ihrer Reha, bei guter Compliance und zufrieden stellendem Verlauf, nicht wöchentlich (mehrmals) in die Praxis reisen zu müssen, sondern von zu Hause aus gecoached werden könnten. Oder auch bei längerer Ferienabwesenheit. Die reisefreudigen Millenials würden es bestimmt schätzen, die Beratung beim Physio ihres Vertrauens in Anspruch nehmen zu können – auch vom anderen Ende der Welt aus. Die Videobehandlung würde aus meiner Sicht die Selbstverantwortung der Patienten stärken und der (manuellen) Abhängigkeiten zum Therapeuten vorbeugen. (z.B. Fr. H. die schon die 27. Verordnung wegen Nackenschmerzen bekommt, weil sie nicht bereit ist, etwas für die Verbesserung ihrer Situation beizutragen.) Aber da wäre ein separater Tarif für Videotherapie schon sinnvoll, nicht? Und einer, der nicht noch weniger als die Hälfte des Standardtarifs ausmacht, wäre irgendwie auch schön. Gerade, da ja «die gleiche Behandlungsqualität wie bei einem direkten physischen Kontakt mit den Patientinnen und Patienten sicherzustellen» wäre. Naja, ein Denkanstoss, der vielleicht bis in nächsten Tarifverhandlungen rollt. Und vielleicht auch mal etwas Zusätzliches ins Rollen bringt in der Physiotherapie. Denn mittlerweile frag ich mich schon, weshalb die Ergotherapeuten und Logopäden (mit bewundernswertem Verhandlungsgeschick?) ihren Tarif «pro Sitzung und Tag zweimal abrechnen» dürfen, die Physio-Schafe aber nicht? Was so ein Faktenblatt nicht alles für Fragen aufwirft… Gemeinsam sind wir osterhasenstark!Ich wünsche mir sehr, dass sich die Physiotherapie in absehbarer Zeit aus dem Sumpf kämpft, wo sie sich seit Jahrzehnten nicht vom Fleck bewegt. Mit science2practice versuchen wir einen Betrag zur evidenzbasierten (Physio-)Therapie zu leisten und im selben Zuge auch zum kritischen Hinterfragen vom aktuellen Gesundheitssystem anzuregen und konstruktive (interdisziplinäre) Diskussionen zu unterstützen. Denn auch bei Tarifverhandlungen ist faktenbasiertes Argumentieren unerlässlich. Und die Wissenschaft liefert diese Fakten. Die Erfahrung alleine, was dem letzten Patienten wohlgetan hat, nützt leider nicht viel wenn’s darum geht, die Position der Physiotherapie zu stärken. Was ist eure Meinung zum Thema Therapie über Video-Call? Was denken andere Disziplinen darüber? Wir sind gespannt! Frohe Ostern und herzliche Grüsse Pascale & David Marco GrigoliEin Gastblog vom ehemaligen Weltcup-Skispringer aus dem Engadin ![]() Kaum ein Moment vergeht, in welchem die sportliche Karriere eines Athleten in dessen Kopf und Herzen nicht präsent ist. Der Lebenslauf, ein Konstrukt, geformt und geprägt durch den Sport selbst. Etliche Jahre an Vorbereitung, Training und Arbeit, um dem stets gebliebenen Kindheitstraum in kleinen, harten Schritten näher zu kommen. Man verzichtet auf Vieles im Leben und widmet sich kompromisslos seiner Leidenschaft. Der Lohn dafür findet sich in der grenzenlosen und immer wiederkehrenden Adrenalinausschüttung, welche in einem gewissen Masse abhängig macht und in den unbezahlbaren Emotionen, die man rund um den Globus erlebt, wieder. Gerade in Risikosportarten ist man sich stets bewusst, dass der Preis für den eigenen Traum hoch ausfallen kann. Denn innert wenigen Sekunden kann ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit nicht nur den Traum zum Platzen bringen, sondern auch viele lange Jahre harter Arbeit zunichtemachen – die Verletzung. Wann kann ich wieder…? Im ersten Moment nach der Verletzung sind es die Emotionen und der eigene Wille, die einem über den inneren Schweinehund immer wieder eintrichtern, dass es nicht so schlimm sein kann und in absehbarer Zeit wieder alles beim Alten ist. In meinem Fall kam die Hiobsbotschaft ca. 5 Stunden nach dem Unfall, nachdem sämtliche Untersuchungen in Zürich abgeschlossen waren. Obwohl ich eine Auflistung von Bänderrissen, Frakturen und sonstigen Fremdwörtern vor mir sah, war ich immer noch der Überzeugung, dass es lediglich ein Eingriff benötige und ich spätestens im Sommer wieder ins Trainingsgeschehen eingreifen kann. Von der Verletzung bis zur vollständigen Einsicht, dass ich diesen Sport nicht mehr betreiben kann, vergingen rund zwei Jahre. Während dieser Zeit richtete sich meine Aufmerksamkeit voll und ganz auf die Genesung meiner komplexen Verletzung, mit dem Ziel, bald wieder einsatzbereit zu sein. Im ersten Moment bieten das Team und vor allem die Familie die nötige Unterstützung, mit den Umständen emotional umzugehen. Regelmässige Besuche von Freunden und Bekannten optimieren den ungewohnten Alltag. Ich musste mir eingestehen, dass es sich bei meiner Verletzung um etwas sehr Komplexes handelte und der Weg zurück schwieriger wird als gedacht. Ich war gezwungen, ein Teil der Kontrolle und der Verantwortung über meine Verletzung an Menschen abzugeben, welche das nötige Fachwissen besitzen, den Heilungsprozess voranzutreiben. In erster Linie waren es sicherlich die Ärzte, welche sehr schnell handelten und noch am selben Tag eine Operation durchführten und später regelmässig über den Verlauf der Heilung Auskunft gaben. Visiten durch Ärzte sind kompakt und zeitlich begrenzt. Das wichtigste über den Verlauf wird kurz besprochen und im selben Moment verabschiedet man sich vom Visiten-Detachement. Wegbegleiter Erst ab Beginn der Reha-Phase mit Einbezug der Physiotherapie beginnt die strenge aber wertvolle Arbeit hinsichtlich einer möglichen Genesung. Für mich war es von Anfang an klar, dass ich nicht mit einem beliebigen Therapeuten zusammenarbeiten kann. Schliesslich verbringt man mit dieser Person Stunden in Therapiezimmern, spricht über den persönlichen Gefühlszustand und über jene Gedanken, welche man lieber unterdrücken würde. Es war für mich von höchster Priorität in meinem/r Physiotherapeuten/in eine Vertrauensperson zu finden, welche mich nicht nur auf körperlicher Ebene unterstützt, sondern eben auch aus emotionaler Sicht Stabilität in den Heilungsprozess bringen kann. Physiotherapeuten arbeiten nahe und intensiv am Menschen. Ein grosses Vertrauen hinsichtlich des Fachwissens und des Menschen selbst musste für mich vorhanden sein. Irgendwie hatte ich damals das Gefühl, dass ich dies zu gut erkennen vermag und entschied mich bewusst dafür, die Arbeit nur mit einem bestimmten Therapeuten fortzusetzen. Bis heute weiss ich, dass ich mich damals absolut richtig entschieden habe. Die mentale Achterbahn Ich hatte Tage, an denen ich glaubte, bald wieder ordentlich und schmerzfrei gehen zu können und Tage, an denen sich Gedanken breit machten, dass ich aufgrund der diagnostizierten Arthrose später mit den eigenen Kindern nicht einmal mehr vollumfänglich spielen kann. Ich fand keinen wirklichen emotional-stabilen Zustand. Nach einer Weile wurde der Kontakt zum Team immer schwächer, da sie schliesslich im Sportzirkus stark involviert waren und ihren Aufgaben weiterhin bestmöglich nachgingen. Auch in meinen Gedanken distanzierte ich mich immer mehr von meinem Sport und meine Aufmerksamkeit galt dem alleinigen Heilungsprozess, unabhängig meiner sportlichen Karriere. Jeder noch so kleine Fortschritt wertete ich als grossen Erfolg, jeder Rückschlag als grosse Katastrophe. Nach einer intensiven Zeit mit bemerkenswerten Fortschritten kamen aus dem Nichts unangenehme Schmerzen zurück. Keine Schmerzen, welche unerträglich waren aber traten sie in einer Konstanz auf, die mich komplett durchdrehen liess. Wut und beinahe depressive Zustände waren das Resultat konstanter und stärker werdenden Schmerzen. Nach genauer Reflexion mit meinem Physiotherapeuten entschieden wir uns erneut für eine Rücksprache mit dem zuständigen Arzt. Ich kann mich gut an den Gesichtsausdruck des Arztes erinnern, …an welchem ich sofort erkannte, dass etwas nicht stimmte. Ein namhafter, sympathischer und extrem erfolgreicher Arzt schaute mich dermassen unsicher an, als ob er die Kontrolle über Raum und Zeit verloren hätte. Beinahe hatte ich ein schlechtes Gewissen, ihn in eine derartige Situation zu bringen. Er erklärte mir mit ruhiger Stimme und grossem Respekt vor meiner Person, dass die Arthrose stärker geworden sei und eine weitere Operation notwendig wäre, um den Schaden möglichst in Grenzen zu halten. Ab diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass wir soeben den Spatenstich für das Grab meiner sportlichen Karriere getätigt haben. Dennoch traf mich der Shock nicht wie erwartet, denn irgendwie habe ich mich bereits unbewusst auf diesen Moment eingestellt, da mein Körper derartige Signale seit geraumer Zeit ausstrahlte. Obwohl es für mich wohl das absolute worst case Szenario darstelle, fiel in diesem Moment grosse Last von meinen Schultern. Ich konnte mich von den Gedanken befreien, wieder professionell Sport zu betreiben und hatte ab sofort Klarheit und in gewissem Masse die Kontrolle über meinen Gesundheitszustand zurückerlangt. Ich wusste, dass niemand Fehler gemacht hatte und wir gut gearbeitet hatten. Lediglich mein Körper war dieser Aufgabe nicht gewachsen und zeigte mir diesbezüglich klar die Grenzen auf. Nach der Operation ging es für mich bergauf. Ich wusste zwar, dass ich nicht mehr um Edelmetall in meiner Sportart kämpfen konnte, war mir aber im Klaren darüber, dass ich irgendwann wieder schmerzfrei durch den Alltag gehen und bestimmte Hobbies erneut betreiben kann. In der nachfolgenden Zeit wurde aus der Patient-Physio Beziehung eine enge Freundschaft und die Reha ging auf neuer Ebene in die nächste Runde. Der Zeitdruck war weg und wir konnten nachhaltig weiterarbeiten. Mein Physiotherapeut hatte die Begabung, komplexe medizinische Fachsprache dem meinigen Wortschatz anzupassen und konnte mir sämtliche Prozesse rund um meine Reha begründen und erklären. Ich wusste, dass ich dieser Person blind vertrauen konnte. Heute darf ich sagen, dass die Reha ein voller Erfolg war. Obwohl ich mit Einschränkungen umgehen muss, gehe ich beinahe schmerzfrei durch meinen Alltag. Ich weiss, wann und warum Schmerzen auftreten und kann dies sehr gut steuern. Klar gibt es Sportarten, auf die ich ganzheitlich verzichten muss, wie z.B stop-and-go-Sportarten. Hingegen konnte ich nach rund 4 Jahren mit anderen Sportarten beginnen, welche nun verstärkt meinen Alltag prägen. Ein voller Erfolg! Dieser Unfall lenkte meinen Lebensweg in eine komplett andere Richtung. Es ergaben sich neue Chancen, Freundschaften und wundervolle Momente, welche ich als Sportler nicht erlebt hätte. Ich bin kein spiritueller Mensch, aber manchmal kommt tatsächlich alles so, wie es muss. Herzlichen Dank für die persönlichen Einblicke, die du uns in auf deinem Weg gewährst! Wir wünschen dir für deine Zukunft nur das Beste – und einen hochfliegenden Start ins 2020! David & Pascale @Sportphysiotherapeuten, Personal Trainer, Osteopathen, Ergotherapeuten, Trainer, Sporttherapeuten und eigentlich alle, die mit Leistungsportlern arbeiten: Prof. Thorsten Weidig ist im Oktober 2020 zum zweiten Mal in Zürich! In diesem Kurs wird erarbeitet, wie ihr eure AthletInnen auf dem Weg zurück an die Spitze, oder auf einer neuen Route in ihrem Leben ideal unterstützen und begleiten könnt. Wie wichtig dabei die Player Motivation und Kommunikation sind, hat uns Marco eindrücklich geschildert. Tickets gibt’s hier! Pascale Gränicher Was hat es eigentlich mit dieser „Evidenz“ bzw. der „evidence based practice (EBM) auf sich? Was kann evidenzbasiertes Arbeiten, wo liegen die Chancen aber auch die Grenzen? Worauf ist zu achten und wie wenden wir evidenzbasiertes Arbeiten in der Therapie an?
„Evidenzbasierte Medizin“ oder evidence based practice wird durch Sackett et al. (2007) folgendermassen definiert: „[Der] gewissenhafte, ausdrückliche und umsichtige Gebrauch der aktuell besten Beweise für Entscheidungen in der Versorgung eines individuellen Patienten“. Gehen wir dieses riesige Thema mal ganz „physiotypisch“ an. Zählen wir also erstmal auf, warum die Umsetzung vielleicht bei anderen funktioniert, aber ganz sicher nicht bei mir/ uns… Als bekannteste Barrieren für die Umsetzung von evidenzbasierter Arbeit in der Praxis gelten:
Was zeichnet eine „evidenzbasierte“ Arbeitsweise aus und wie könnte sie sogar finanziell lukrativ sein?
Anschliessend geht es um die Patientenpräferenzen, wo vollumfänglich über die Therapieoptionen aufgeklärt und die Wahl gegeben wird, die für sie stimmige Therapie auszusuchen. Es geht darum Wünsche und Vorstellungen zu eruieren und zu besprechen. Oftmals hören wir nur das, was unsere eigenen Überzeugungen und Theorien füttert, aber nicht das, was uns der Patient sagen will. Wir müssen besonders mit dem Anspruch der evidenzbasierten Praxis wieder lernen mehr zuzuhören. Der Patient soll seine Probleme auf Augenhöhe mit uns besprechen können. Die Expertise des Therapeuten bleibt davon unberührt, die therapeutische Krone vollzackig und wird zukünftig von den Patienten hoffentlich noch strahlender und beeindruckender wahrgenommen. 😉 Also… was nun?Machen wir uns nichts vor: Evidenzbasiertes Arbeiten ist besonders am Anfang aufwendig und anstrengend. Es erfordert mehr Einsatz als andere Therapieansätze. Dafür ist diese Vorgehensweise ethisch vertretbar, therapeutisch befriedigend, motivierend und steigert deutlich die eigenen therapeutischen Kompetenzen. Was macht EBP mit unserem Beruf? Ist dieses Thema nur eine momentane Mode oder steckt mehr dahinter? Die berufspolitischen Diskussionen zeigen deutlich, wohin der Weg geht und was passiert, wenn wir uns nicht schleunigst mit diesem Thema seriös auseinandersetzen. Wir sollten der Evidenz unsere Aufmerksamkeit widmen und den dringend notwendigen Platz in unserem Therapiemanagement einräumen. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen wählen den Weg der Akademisierung, ein durchweg sehr positives Signal. Wenngleich es auch an vielen Hochschulen im deutschsprachigen Raum qualitativ immer noch deutlich Luft nach oben hat. Trotz so mancher Defizite, ist die flächendeckende Akademisierung aber der richtige Weg und es ist davon auszugehen, dass die EBP deutlich mehr ist, als nur eine Modeerscheinung von ein paar „Physiohipstern“. Es zeigt die vermutlich einzig sinnvolle Zukunft unseres Berufes und den Weg zu einem besseren Standing im medizinischen Bereich auf. EBP kann zu einem immens wichtigen Argument für eine bessere Vergütung werden, wenn die Berufsverbände das Potential und die Möglichkeiten erkennen, welche sich da- hinter verstecken und nicht weiterhin ihr eigenes lukratives Zertifikatesüppchen kochen würden. Eines sollten wir aber nicht vergessen, schlichtweg zur Seite schieben oder unterschätzen:Wir müssen, aller teilweise auftretenden Schwierigkeiten zum Trotz, auch die nicht-akademisierten Kollegen in das therapeutische Boot holen! Nur mit vereinten Kräften können wir den festgefahrenen Wagen Physiotherapie aus dem Dreck ziehen. Das geht nur mit Respekt, Kommunikation auf Augenhöhe, durch die Anerkennung von Ängsten und Vorbehalten und immer wiederkehrender Erklärungen über EBM. Nur dann haben wir eine Chance unseren Beruf in einem überschaubaren Zeitfenster dorthin zu bringen, wo er verdient hat zu stehen. Gewiss sind noch dicke Bretter zu bohren, aber der Vorschlaghammer allein hilft da wenig. Es braucht Zeit, aber es kann sich lohnen. Was denkst Du über EBP? Wir sind gespannt auf Deine Meinung!Hast Du vielleicht sogar Lust bekommen, mehr zu diesem spannenden Thema zu erfahren? Dann bist Du herzlich eingeladen, auf www.science2practice.ch zu klicken und mehr über unser Angebot mit Daniel Riese und seinem „Research to practice“-Kurs vom 14.-15.03.2020 in Düsseldorf zu erfahren. Deine Fragen zu unseren Veranstaltungen stellst Du am besten direkt an science2practice. Wir würden uns freuen von Dir zu hören! Pascale Gränicher In jeder Therapiesitzung alle vier Ohren bereit zu halten und leichtfüssig von der Sach- zur Emotionsebene und wieder zurück zu hüpfen ist Tagesform abhängig (oder überhaupt!) nicht immer einfach.
Ein paar simple Anstösser aus dem (Physio-)Therapie-Alltag, die vielleicht auch deine vier Ohren unterstützen: Tipp 1: Unkompliziert So einfach wie’s klingt: Macht’s euch einfach. Die Patienten geben in den wenigsten Fällen zu, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Und sie sind auch nicht unbedingt beeindruckt, wenn wir Fachchinesisch brabbeln. Bildhafte, simple Erklärungen führen effizienter ans Ziel. Tipp 2: Weniger ist mehr Lieber kurz überlegen, was du dem Patienten erklären willst. Zu viele Details oder zu vertiefte Erläuterungen können eher verwirren. Konzentrier dich auf die wirklich relevanten Facts. Tipp 3: Again and again Wiederholung ist der Schlüssel. Erst wenn wir uns selber nicht mehr hören können, ist die Botschaft beim Gegenüber sicher angekommen. Tipp 4: The importance of being earnestAuf Augenhöhe kommunizieren und dabei möglichst wenig Interpretationsspielraum zulassen. Konkrete Ziele formulieren, eindeutige Hausaufgaben mitgeben (definierter Dosierung). So fühlt sich der Patient ernst genommen und weiss, was er zu tun hat. Selbstwirksamkeit ahoi und Verantwortung langsam abgeben. Tipp 5: Kein «warum» Offene Fragen sind wichtig. W-Fragen die mit «woher, wann, wieviel, weshalb, …» beginnen sind essentiell, um einen unverfälschten Eindruck des Gegenübers zu erhalten. Bei einer «warum»-Frage haben aber manche das Gefühl, sich verteidigen oder rechtfertigen zu müssen. Tipp 6: Vertrauen ist die halbe Miete Empathische Sprache, Fingerspitzengefühl: Nachfragen, ob das Gesagte verstanden wurde. Wiederholen lassen, geduldig bleiben. Blickkontakt baut Vertrauen auf. Nicht wie ein Wasserfall reden, deutliche Formulierungen wählen. …natürlich gibt es auch immer jene Gegenüber, die mit Fachchinesisch, schnellen Themenwechseln, ausgeklügelten Detailerklärungen und herablassendem Fachsimpeln einwandfrei zurechtkommen. Aber upgraden fällt in der Regel leichter 😉. Am 20./21.03.2020 und am 31.10./01.11. 2020 könnt ihr euer Wissen bzgl. Kommunikation und Motivation in der Therapie auffrischen und erweitern: Prof. Thorsten Weidig ist erneut in Zürich! -> Tickets & Infos findet ihr direkt auf Eventbrite oder hier. David Schmidt ![]() 14th Clinical Science Forum „Technologies and robotics for therapy“ Ausrichter: Stiftung Physiotherapie Wissenschaften PTW Gastgeber: Universitätsklinik Der Balgrist Prof. Mazda Farshad, Medizinischer Direktor der Universitätsklinik Balgrist, kam in seinen Begrüssungsworten mit Nachdruck auf die Wichtigkeit intensiver Forschung im Bereich muskuloskelettaler (MSK) Beschwerden zu sprechen. Gleichzeitig prangerte er die unverhältnismässig geringen Forschungsinvestitionen in diesem Bereich an. Dieser Widerspruch zeigt sich gut in folgendem Zitat des Klinikdirektors: „If we would not do research, the state-of-the-art would remain the same“. Farshad hebt hervor, dass MSK-Beschwerden einerseits – je nach Statistik – die höchsten bzw. zweithöchsten Gesamtkosten im Gesundheitssektor verursachen (2013 in der Schweiz: ca. 20 Milliarden Franken, Anteil der Physiotherapie bei ca. 700 Millionen Franken), anderseits werden gerade einmal 2% der Forschungsgelder für den Bereich der muskuloskelettalen Beschwerden eingesetzt. Dr. Oliver Stoller, PhD, PT, Manager Digital Health, VAMED: „Clinical integration of rehabilitation technologies – from stand-alone-solutions to ecosystems“, zeigte in seinem Vortrag eindrücklich auf, wie bereits jetzt, von vielen im therapeutischen Bereich völlig unbemerkt, Daten gesammelt, verarbeitet und genutzt werden. Nicht überraschend ist, dass die Krankenkassen derzeit die eifrigsten Sammler sind. Noch vor den Techfirmen (besonders der Medizintechnik) und weit vor den Rehakliniken. An letzter Stelle stehen die Rehazentren und Therapiepraxen. Fazit ist: Wir als medizin-therapeutische Experten schöpfen unser Potential an Wissensgenerierung nicht im geringsten aus. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Krankenkassen die gewonnenen Daten dazu nutzen werden, für Therapien nur noch entsprechend deren tatsächlichem Nutzen zu zahlen. Sind wir darauf vorbereitet oder befinden wir uns noch im „soweit-wird-es-schon-nicht-kommen“-Modus? Die Millionen-Dollar-Frage heisst: Wie können wir uns auf die technologischen Veränderungen einstellen und davon profitieren? Und wissen wir überhaupt, was unsere Patienten wollen? Technologisierung in der Therapie (Stoller) Für unsere Klienten hat die Medaille zwei Seiten, – die sich allerdings langfristig zu deren Vorteil entwickeln sollten. Einerseits zeigt sich laut Oliver Stoller, dass „Patienten mehr Hoffnung als Angst in Bezug auf Künstliche Intelligenz („AI“) in der Rehabilitation haben“ und sie aber andererseits „überhaupt keine Ahnung haben was derzeit läuft, sich dies allerdings bald ändern wird.“ Im Laufe der industriellen Revolution hat sich bereits viel getan. Es begann um 1780 mit den Entwicklungen der Dampfmaschinen, um 1880 ging mit der flächendeckenden Elektrizität und Massenproduktion weiter. Seit 1980 befanden wir uns in der industriellen Revolution 3.0: dem Computerzeitalter. Mit den Cyber physical systems sind wir bereits jetzt in der Revolution 4.0, mit enormen Auswirkungen auf Medizin und Therapie. Was bieten sich uns für Möglichkeiten und wo geht die Reise hin?Stoller meint dazu: „Oft haben wir keine Ahnung über die Dosierung in unserer Therapie und was die Patienten zu Hause machen“. Ein Patient kommt im Schnitt 1-2 pro Woche für je 30 Minuten zur Therapie und die restliche Zeit ist er oder sie auf sich gestellt. Im Grunde entscheidet sich der langfristige Therapieerfolg also selten in der Praxis. Entscheidend ist, was passiert wenn wir Therapeuten nicht dabei sind. Wäre es nicht fantastisch, Sensoren zu nutzen, die uns genau zeigen was Patienten zu Hause machen und wenn wir die Daten therapeutisch nutzen könnten? Kommunikation und Wissensaustausch zwischen allen Playern zum Wohle des Patienten Natürlich ist das Thema Datenschutz und -nutzung ein heisses Eisen. Die Generierung, Sammlung und Nutzung sollte unter strengen Auflagen erfolgen. Aber sind wir in anderen Bereichen genau so heikel? Alexa hört uns permanent zu, Siri sagt uns wie das Wetter wird und unsere iWatch zeichnet unseren Herzrhythmus auf und schickt diesen als PDF an unseren Hausarzt. Wir werden bereits massiv überwacht, ausgewertet und lassen unser Verhalten analysieren. Sollten wir diese Möglichkeiten nicht auch für unsere Gesundheit nutzen können? Von 2010 bis 2017 hat sich die Zahl an klinischen Untersuchungen unter Zuhilfenahme mobiler Endgeräte, Sensoren und Wearables fast verfünffacht. Die amerikanische FDA hat die Nutzung einer beeindruckenden Zahl an Algorithmen in der Medizin gestattet. AI betritt den medizinischen Sektor in einem fast unheimlichen Tempo! Besonders die Bereiche Radiologie und Kardiologie wandeln sich enorm schnell. Bereits jetzt ist erkennbar, dass der Radiologe in seiner jetzigen Form in absehbarer Zeit ausgedient hat und durch AI ersetzt wird. Der Einsatz von digital health technologies steigt weiter an Game over für den AlleskönnerTherapeuten sollten sich darauf einstellen, dass neue Technologien einen festen Platz im Therapieprozess einnehmen werden. Wie können Sie also reagieren? – Mit Spezialisierung. Es wird aller Voraussicht nach immer mehr Therapeuten geben, die sich in verschiedenen Bereichen spezialisieren (MSK, Geriatrie, Neurologie, Pädiatrie, Robotik, Forschung etc.). Der Therapeut-für-Alles wird ausgedient haben. Wie sich auch in anderen Vorträgen beim Clinical Science Forum gezeigt hat, wird das Curriculum im Studium angepasst werden müssen und der Bereich AI/Medical Engineering soll ein wichtiger Teil davon werden. Bereits jetzt kann beispielsweise in Wien ein Master-Studium im Bereich Medical Engineering & eHealth belegt werden. Und das ist scheinbar erst der Beginn. Diejenigen die flexibel sind und sich nicht vor Veränderungen scheuen werden profitieren, diejenigen denen das nicht gelingt, werden zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Hoffentlich. Vielen Dank für Euer Interesse. David Jorge Ramón JiménezZur Bearbeitung hier klicken To the presents,
since humanity has a sense of reasoning people have been trying to explain everything, questioning anything, and that continuously gives us a clearer way of living, or that’s what we think. I’m a physical therapy specialist in Mexico, the country where I was born, I have six years of experience in this area. They are a few, but I can presume that by that time, I’ve been trying to search for the comprehension of the body, the mind and in the first instance, the individual. A very hard and difficult journey that we all need to do because nothing is the same for no one. So that’s the important thing in this note: Meeting people, colleagues, different points of view discovering the hot stuff of this important concept named “pain”, that may help each other for the ones that are out there searching for what is common for many people which is: getting better. Five years ago, I started a treatment method in a Hospital which is no more than the bases of what physical therapy is. It makes the patients feel better and more comfortable with what they apparently present as a “limitation”. And it’s curious because sometimes we forget the first things we learn, the start of the first book we read, the first day we meet a patient, the first words they say, and I think that sometimes there we could find the cure we search for. We never end something, we are just students every time, we learn and learn. We adapt, and we evolve. And that’s where I am, searching for more. I’ve been following Lars Avemarie since a couple of years ago, and the perspective that he has about PT is what amazes me and for sure many of you. Emphatic is one of the most favorite words of the last 5 years in the world I’m pretty sure about it, and that’s what I feel with him, with David Schmidt that has been the principal help and the leader of my trip to Switzerland. I’m traveling half the world to be with you all and to know the best from the best, and to be a helpful person to be the light in the dark, to discover the pain, for them, the people. I have a very special phrase, it’s something that has been following me for the last 10 years maybe more, I share it with my beloved ones, with the people who search for me in the clinic: “Ve más allá de lo que ves” (see beyond what you see). Pascale GränicherZur Bearbeitung hier klicken «Beim letzten Patienten hat das auch geholfen, also wende ich die gleiche Intervention beim Nächsten auch wieder an.»
Das könnte die Rohfassung einer Hypothesenformulierung für eine spannende Studie sein. In der Regel wird aber weder ein validierter Befund noch eine standardisierte Behandlung folgen, um die Wirksamkeit dieser hilfreichen Therapie zu überprüfen. Die eigene Erfahrung zählt schliesslich am meisten. Und da sind wir Physio- und Ergotherapeuten oder auch Osteopathen und Ärzte auch ganz objektiv. Denn schliesslich wissen wir was wir tun und blicken auf eine langjährige Erfolgsstory mit zufriedenen Patienten zurück. Somit muss es ja nützen was wir tun. Wissen was wir wissen Wäre es aber nicht toll, wenn wir nicht nur das Gefühl hätten, dass das was wir tun das Problem mit der bestmöglichen Wahrscheinlichkeit bei der Wurzel packt und uns nicht einzig auf unsere Erinnerungswerte verlassen müssten? Unsere Erfahrung als medizin-therapeutische Spezialisten zählt natürlich zu den Daten, anhand derer die individuell zielführendste Intervention herausgeschält werden kann. Aber eben nicht nur, denn unser Gedächtnis ist kein Archiv unverfälschter Fakten – leider. Erinnerungen sind veränderbar Wie bereits in den 70er Jahren erforscht wurde, sind unsere Erinnerungen plastisch, also veränderbar. Somit kann durch externe Einflüsse oder durch eigene Fantasie an unseren Erinnerungen geschraubt werden (Loftus et al., 1978). Wie veränderbar, zeiget der Versuch von Loftus & Pickrell (1995), wo Probanden davon überzeugt werden konnten, dass sie als Kind in einem Einkaufszentrum verloren gingen – obwohl nie etwas Vergleichbares geschehen ist. Wie fehlbar unsere Erinnerungen sein können, zeigen auch die vielen Fälle von unrechtmässigen Verurteilungen von Unschuldigen aufgrund von falschen Zeugenaussagen. Durch das Innocence Project (2017) konnten seit 1989 durch die DNA-Analyse in 353 Fällen unschuldig Verurteilte freigesprochen werden. 70% dieser Urteile wurden aufgrund von Zeugenaussagen gefällt. Und mit «falsch» ist nicht absichtlich fehlerhaft dargestellt, sondern verfälscht durch zeitliche Verzerrung oder suggestive Befragungstechniken der Untersuchenden gemeint (Bruck & Ceci, 1995; Ceci & Bruck, 1993). Wenn wir also überzeugt sind, dass etwas in einer Weise geschehen ist, dann können sich unsere Erinnerungen tatsächlich verändern und der neuen Geschichte anpassen. Das heisst, wir blenden möglicherweise Fälle aus, bei denen unsere Lieblingstechnik oder die favorisierte Dehnungsübung nichts geholfen oder sogar mehr Beschwerden verursacht hat. Das verdrängen wir unbewusst… natürlich. Können wir das nicht verhindern? Da werden wir ja von unserem Hirn total fremdgesteuert! Erinnern wollen Einen Sinn hat das Unterdrücken von unangenehmen Erinnerungen aber schon: Wie Waldhauser und Kollegen (2018) bei Personen, die an posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) litten untersucht haben, erleben diese die auslösenden emotionale Situationen gedanklich immer und immer wieder. Probanden, die vergleichbar traumatische Ereignisse erlebten, aber nicht an einer PTBS litten, zeigten in der Magnetenzephalographie (MEG) geringer ausgeprägte sensorische Gedächtnisspuren als die PTBS-Gruppe. Das heisst, sie konnten die emotionalen Assoziationen besser unterdrücken. Es gilt weiter zu untersuchen, ob nun die PTBS die Erinnerungssteuerung hemmt oder die Kontrollgruppe eine bessere Coping-Strategie aufwies. Aber unser Gehirn scheint eine eigene Zensurstube zu unterhalten, um die Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen zu beschleunigen. Ob eine nicht anschlagende Technik für den Therapeuten aber als Trauma interpretiert werden sollte ist natürlich fraglich. Ein reflektierter und selbstkritischer Profi kann einen Fehlversuch mit ausgeklügelter, individuell auf den Klienten angepasster Trainingsbatterie mit Athlet Marko ebenso in seine Datenerhebung integrieren wie eine himmelhoch-jauchzendes Erfolgserlebnis nach einer simplen Patient Education bei Frau Meier. Überzeugte Augenzeugen Wie können wir als Augenzeugen unserer eigenen Intervention nun einen zuverlässigen Datensatz an Therapieerinnerungen erstellen? Grundsätzlich nicht ganz so schwierig: Wie Untersuchungen mit Zeugenaussagen gezeigt haben, sind unsere Erinnerungen je näher am Ereignis desto zuverlässiger (Wixted et al., 2018). Das heisst, eine Verlaufsdokumentation direkt während oder nach der Behandlung, ermöglicht eine reliable Aussage. Ein Blick in die Notizen vor der nächsten Therapiesitzung ist dann natürlich ebenfalls gefordert. Hinter die Ohren schreiben Der Einsatz von sauber durchgeführten, standardisierten Verlaufskontrollen erhöht die Aussagekraft unserer Erinnerungen. Auch hier dürfen sich Therapeuten und Ärzte am ganzen Buffet der Assessmentmöglichkeiten Bedienen: Von Fragebogen über Leistungstests bis hin zu Labormessungen bietet uns die Befundkiste alles was das Herz begehrt. Die sorgfältige Auswahl und Prüfung der Qualität des jeweiligen Werkzeugs sollte dabei selbstverständlich sein. Als Detektive des menschlichen Körpers können wir uns nicht ausschliesslich auf Indizien und den Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft verlassen – wir brauchen stichhaltige Beweise und wasserdichte Alibis bevor wir ein Urteil fällen. Und auch unsere Goldstandards sollten regelmässig hinterfragt werden -wie auch das Federal Bureau of Investigation (FBI) regelmässig seine Standards für die DNA-Analyse, ein valides und reliables Instrument in der Kriminalistik, überprüft (FBI, 2001; National Research Council, 2009). Da wir in der Praxis in der Regel nicht unter Laborbedingungen hantieren, ist neben einem strukturierten Clinical Reasoning, den standardisierten Assessments und wirksamen Interventionen auch eine Portion gesunder Menschenverstand und eine Ladung zwischenmenschlicher Qualitäten unabdingbar. Denn Frau Meier geht es tatsächlich schon etwas besser, wenn sie uns mag und uns vertraut (Hall et al., 2010). Das ist doch auch schon etwas! Mehr dazu…Auch Lars Avemarie beschäftigt sich regelmässig mit der Frage des bestmöglichen Behandlungsansatzes. Und nicht nur durch trockene Theorie, oder wie er sagt: „Nothing could be more humanistic than using evidence to find the best possible approaches to care„. Es gibt noch Tickets für den zweitägigen Kurs vom 30.-31. August in Zürich! Zum Thema „Neuroscientific Painmodulation“ – oder wie man optimal mit Schmerzpatienten arbeitet, wird im Technopark referiert und diskutiert. Wir freuen uns auf euch! Literatur Bruck, M. & Ceci, S.J. (1995) AMicus brief fort he case of State of New Jersy v. Michaels presented by Committee of Concerned Social Scientists. Psychology, Public Policy, and Law; 1: 272-322. Ceci, S.J. & Bruck, M. (1993). Suggestibility oft he child witness: A historical review and synthesis. Psychological Bulletin; 113: 403-439. Gerd T. Waldhauser, Martin J. Dahl, Martina Ruf-Leuschner, Veronika Müller-Bamouh, Maggie Schauer, Nikolai Axmacher, Thomas Elbert, Simon Hanslmayr: The neural dynamics of deficient memory control in heavily traumatized refugees, in: Scientific Reports, 2018, DOI: 10.1038/s41598- 018-31400-x Hall, A.M. et al. (2010). The Influence of the Therapist-Patient Relationship on Treatment Outcome in Physical Rehabilitation: A Systematic Review. Physical Therapy; 90 (8): 1099-1110. Innocence Project (2017). Eyewitness misidentification. Retrieved from: https://www.innocenceproject.org/eyewitness-identification-reform/ Loftus, E. F., Miller, D. G. & Burns, H. J. (1978). Semantic integration of verbal information into a visual memory. Journal of Experimental Psychology. Human Learning and Memory; 4: 19–31. Loftus, E. F. & Pickrell, J. E. (1995). The formation of false memories. Psychiatric Annals; 25: 720–725. National Research Council (2009). Strengthening forensic science in the United States: A path forward. Washington, DC: National Academy Press. Wixted, J.T., Mickes, L. & Fisher, R.P. (2018). Rethinking the Reliability of Eyewitness Memory. Perspectives on Psychological Science; 13 (3): 324-335. U.S. Federal Bureau of Investigation Department of Justice (2011). The FBI quality assurance standards audit for forensic DNA testing laboratories. Retrieved from: https://www.fbi.gov/file-repository/qas-audit-for-forensic-dna-testing-laboratories.pdf/view Pascale Gränicher ![]() Radiologische Untersuchungen bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen schüren Ängste und verunsichern die Patienten. Altersentsprechende, „gewöhnliche“ Abnützungen ohne Link zu klinischen Symptomen führen missverständlich zu Verzweiflung, mehr Schmerzen und noch grösseren Einschränkung aufgrund von Angst und Schonverhalten. Der Glaube, dass die Wirbelsäule „kaputt“ oder „verletzlich“ sei, unterstützt zudem einen vermeidbaren Chronifizierungsprozess. Wir glauben was wir sehen Wollen wir glauben was wir sehen? Manchmal ja. Eine willkommene Erklärung für den Schmerz kann so ein Bild ja sein. Oder eine Entschuldigung, sich nicht mehr bewegen zu müssen. Das lebenslange Urteil einer „krummen“ Wirbelsäule, Gelenke wo „Knochen auf Knochen“ reiben oder Bandscheiben, die keine Flüssigkeit mehr enthalten oder „herausgesprungen“ sind. Sehnen und Gelenke, die dafür entzündliche Flüssigkeit enthalten und so Bewegung verbieten, ja sogar derentwegen noch angereichert würde. Da sollte doch Entspannung angeordnet werden?! Was passiert, wenn einem Patienten, der aufgrund von Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich in einer gebückten Schonhaltung verharrt ein Bild seiner von Arthrose «zerfressenen» Halswirbelsäule gezeigt wird? Bewegt er sich nun mehr oder weniger? Hängt das davon ab, ob der Arzt ihn zum einen oder anderen ermuntert, bzw. über den Zusammenhang von Arthrose, Bewegung, Degeneration und Schmerz aufklärt? Und ist Bewegung nun gut oder schlecht? Wieder eine andere Frage. Grundsätzlich bildet ein MRI, CT oder Röntgen nur einen einzigen Moment aus einer einzigen Perspektive ab. Und Schmerz sieht man nicht am Bewegungsapparat. Man sieht, wie die Struktur aussieht. Das ist alles. Aber ob das weh tut? Eine MomentaufnahmeEntgegen des primären Ziels, die Patienten mittels radiologischer Untersuchungen zu beruhigen und beschwichtigen, können Unsicherheiten und Ängste aufgrund (zufällig) entdeckter Abnützungserscheinungen verstärkt werden. Erhöhte oder prolongierte Einschränkungen z.B. durch nicht-spezifische Rückenschmerzen werden mit bildgebenden Untersuchungen der Wirbelsäule assoziiert. Erhöhte Gesundheitskosten, längere Phasen von Arbeitsunfähigkeit und reduziertes Wohlbefinden sind Konsequenzen einer nicht indizierten Bildgebung (Graves et al., 2012). Eine mögliche Erklärung wäre, dass gewöhnliche, altersentsprechend degenerative Merkmale, die keine Beschwerden auslösen für die Betroffenen erst im Moment der Bildaufnahme real werden. Die eigene Vergänglichkeit wird bewusst und das verunsichert. Wie sich in der Arbeit von Modic et al. (2005) herauskristallisierte, haben bildgebende Untersuchungen bei Patienten mit akuten Rückenschmerzen keinen signifikanten Einfluss auf den Genesungsverlauf oder das konservative Behandlungsresultat. Obwohl bei 60% der Probanden eine Diskushernie festgestellt wurde, konnte kein Zusammenhang zwischen Grösse oder Typ der Hernie und dem Symptomverhalten oder dem Outcome gefunden werden. Diejenigen, die von ihren Befunden erfuhren, schätzten ihr Wohlbefinden im Gegensatz zur verblindeten Gruppe tendenziell sogar schlechter ein. Brinjikji und Kollegen (2015) unterstützen dieses Ergebnis mit der Aussage, dass schon bei beschwerdefreien 20-jährigen bereits bei 37% eine Diskusdegeneration festgestellt werden kann. Und dieser Anteil wächst mit jedem Lebensjahr deutlich (96% bei asymptomatischen 80-jährigen). Ich habe heute leider kein Bild für Sie Was heisst das nun für die Praxis? Ist es nötig, eine radiologische Untersuchung anzuordnen, wenn der Befund weder auf das subjektive Empfinden des Patienten noch auf den Genesungs- und Reha-Verlauf oder das Outcome einen signifikanten Einfluss übt und keine Red Flags vorliegen? Therapeuten haben die Möglichkeit auf- und erklärend zu wirken. Ob schlussendlich ein bildgebendes Verfahren eingeleitet wird, entscheidet der Arzt gemeinsam mit dem Patienten. Aber wenn dieser Entscheid fällt, soll er bewusst getroffen werden. Im Anschluss wäre es schön, wenn man als Therapeut ebendiese Ängste relativieren oder nehmen, mit Mythen aufräumen und mit einem aufgeklärten Patienten das optimale Behandlungsresultat anpeilen könnte. Denn wie Darlow und Kollegen in ihrem Review (2011) feststellten, spiegelt sich die Überzeugung und die Haltung der betreuenden Fachperson in jenen der Patienten wider. Radiologie in der Praxis erklärt Die Bildinterpretation und Aufklärung radiologischer Befunde liegt klar in der Fachkompetenz der Mediziner. Tatsache ist, dass Patienten bei einem Erstbefund z.B. in der Physio-, Osteo- oder Ergotherapie häufig Fragen zu diesen Befunden stellen. In der Fachkompetenz der qualifizierten Therapeuten sollte es somit liegen, unsere Patienten beim Verstehen der ärztlichen Beurteilung zu unterstützen und ihnen die Konsequenzen – wenn es denn welche gibt – für den weiteren Therapieverlauf aufzeigen zu können. Ist der Unterschied zwischen MRI, Röntgen und. CT noch nicht ganz klar? Am 25. Mai 2019 gibt’s Unterstützung in Zürich –Thomas Nickl wird in einem Tagesseminar die verschiedenen Techniken dieser Momentaufnahmen auseinandernehmen und hoffentlich einen dauerhaften Eindruck hinterlassen. Tickets & Infos hier Literatur Brinkjikji, W. et al. (2015). Systematic literature review of imaging features of spinal degeneration in asymptomatic populations. AJNR American Journal of Neuroradiology; 36(4): 811-816. Darlow, B., Fullen, B.M., Dean, S., Hurley, D.A., Baxter, G.D. & Dowell, A. (The association between health care professional attitudes and beliefs and the attitudes and beliefs, clinical management, and outcomes of patients with low back pain: A systematic review. European Journal of Pain; 16: 3-17. Graves, J.M., Fulton-Kehoe, D., Jarvik, J.G. & Franklin, G.M. (2012). Early imaging for acute low back pain: one-year health and disability outcomes among Washington State workers. Spine (Phila Pa 1976); 37(18): 1617-1627. Karran, E.L., Yau, Y., Hiller, S.L. & Moseley, G.L. (2018). The reassuring potential of spinal imaging results: development and testing of a brief, psycho-education intervention for patients attending secondary care. European Spine Journal; 27(1): 101-108. Modic, M.T. et al. (2005). Acute Low Back Pain and Radiculopathy: MR Imaging Findings and Their Prognostic Role and Effect on Outcome. Radiology; 237(2): 597-604. Svanbergsson, G., Ingvarsson, T. & Arnardottir, R.H. (2017). MRI for diagnosis of low back pain: Usability, association with symptoms and influence on treatment. Laeknabladid; 103(1):17-22. Pascale GränicherZur Bearbeitung hier klicken Neuer Erstbefund kurz vor Feierabend. Noch bevor ich den Herrn im Wartebereich begrüssen kann, werde ich von seinem Wortschwall eingedeckt: „Ich bin ja eigentlich schon in der Physio“, „Ich kenne schon alles, ich habe schon jegliches ausprobiert“, „Mein Rücken ist einfach nicht gut, wegen der Haltung oder so, er tut einfach weh“, „Alles hat nichts geholfen bisher…“….
Während ich den kreuzleidenden Patienten ins Behandlungszimmer bugsiere wird mir kaum ein Wort gewährt. „Also eigentlich bin ich hier für Massage.“ Erwartungsvoller Blick. Nur nicht laut denken Mein Magen verknotet sich, einmal tief durchatmen, freundlich lächeln: „Sie sind heute hier für einen Physiotherapietermin, das ist Ihnen bewusst, nehme ich an? Im Obergeschoss können Sie sich für Massagen anmelden was allerdings nicht durch die Grundversicherung abgedeckt ist.“ – „Ja, ja, aber ich bin ja schon in Therapie und habe ganz viele Übungen und soll dieses und jenes machen. Aber trotzdem ist das Rückenweh noch da.“ Wild gestikulierend versucht mir der Herr seine schmerzende Stelle im mittleren Rücken zu zeigen. „Und jetzt möchte ich Massage haben.“ Trotziger Blick. In den folgenden 20min versuche ich, wenn ich denn zu Wort komme, einerseits den Unterschied zwischen Physiotherapie und Wellnessmassage zu erläutern, die Bedeutung einer lösungsorientierten Behandlung zu verdeutlichen und gleichzeitig eine Anamnese durchzuführen. Kläglich gescheitert im Prozess. Ich habe das Gefühl, meine tollen, wissenschaftlich fundierten Erklärungsversuche und praktikablen, alltagsnahen Ratschläge sickern zu dem Herrn nicht durch. Also wirklich gar nicht. Will ich das können? In den vier Jahren des Bachelor-Studiums behandelten wir ca. einen Nachmittag lang das Thema „klassische Massage“. Warum haben die meisten Leute das Gefühl, dass Physiotherapie nur aus massieren besteht? Gibt es so viele Therapeuten die aus der scheinbar grenzenlosen Auswahl an Interventionen und Methoden nur diese eine wählen und anwenden? Wo sind die hypothesengesteuerten Behandlungen? Wird der Therapiefortschritt überprüft und evaluiert? Wird ein Ziel formuliert oder überlegt? Ich frage mich, was die Gesellschaft für ein Bild von mir als Physiotherapeutin hat… Auf meine Nachfrage hin, ob der Herr denn seine Übungen aus der vorangehenden Therapie auch mache, verneint er kurzangebunden. Es habe ja nichts gebracht. Ob er denn während den Übungen müde geworden sei? Wird ebenfalls verneint. Er habe sie einfach irgendwie gemacht. Nach dem Termin fühle ich mich leergesogen und ausgelaugt. Wir verbleiben so, dass sich der Herr gerne wieder melden kann, wenn er bereit ist, einen neuen Anlauf für gezielte Physiotherapie zu starten. Ansonsten solle er sich mit seinem Anliegen zur Wellnessbehandlung gerne bei einem Masseur melden. Ein irritierter Patient und eine frustrierte Therapeutin verabschieden sich. Adieu, Merci und auf Nimmerwiedersehen. Dachte ich. Der Morgen danach Am nächsten Tag teilt mir das Sekretariat mit, dass sich der besagte Herr für einen weiteren Termin bei mir angemeldet habe. Nun bin ich natürlich gespannt, ob tatsächlich ein kleines Bröcklein meiner Edukationsversuche hängen geblieben ist, oder ob das Ganze Prozedere von vorn los geht…. Aufgrund der völlig divergenten Erwartungshaltungen entstehen auf Therapeuten- oder Patientenseite immer wieder unnötig unangenehme Situationen. Klar kann ich mich an die vier Ohren erinnern, aber so ganz einfach ist die Umsetzung dann doch nicht. Bzw. nicht immer ein nützliches Tool. Inhalte müssen her! Ich würde mir wünschen, dass ich in solchen Momenten geschickter kommunizieren und die Leute gezielter abholen könnte. Und das ich aufgrund einer solchen Begegnung nicht jedes Mal meine ganze Berufswahl in Frage stelle. Das ist auf die Dauer ziemlich anstrengend. Zudem sollten Aussagen von Patienten nicht meinen Magen verknoten – eine Reaktion die wohl auch deutlich macht, dass ich mich in der Situation nicht wohl fühle oder nicht in der Lage bin, sie ohne weiteres zu handeln. Auf das zweitägige Seminar mit Prof. Dr. Thorsten Weidig vom 22. bis 23. März in Zürich freue ich mich nun sehr. Ich bin gespannt, welche Inputs er mir im Bereich Kommunikation und Motivation bei der Behandlung meiner Patienten und Athleten mitgibt. Der konstruktive Umgang mit verbalen oder non-verbalen kommunizierten Erwartungen und Annahmen ist mir wichtig. Und ich würde gern laut denken! Dafür sollten meine Gedanken aber bitteschön etwas eloquenter sein. Wenn auch Du Interesse hast, deine Fähigkeiten im Bereich der patientenzentrierten Kommunikation zu verbessern – es sind noch ein paar wenige Early Bird-Plätze frei! Mehr Infos zum Seminar und Tickets gibt’s hier. ![]() Pain sells 😉 Vierundachtzig Teilnehmer im Technopark, zwei nervöse Organisatoren und ein Dozent in Höchstform – was für ein toller Event mit Lorimer Moseley! Spezialisten aus der Physio- und Ergotherapie, Osteopathie, Bewegungswissenschaft, Medizin und sogar der Rettungssanität – das Feld an Interessenten war breit gefächert. Schön war zu hören, dass sich der Tag für die grosse Mehrheit – trotz vorweihnachtlichem Trubel – gelohnt und praxisrelevantes Wissen mitgenommen werden konnte. Lorimer konnte mit seiner lebendigen Präsentation das interdisziplinäre Publikum in seinen Bann ziehen und den Schwerpunkten der unterschiedlichen Fachgebiete gerecht werden. Seine locker-unterhaltsame, gleichzeitig ausgesprochen professionelle und kompetente Art hat die Zeit sehr schnell verfliegen lassen. Weihnachtswunsch erfüllt science2practice wünscht sich, Wissenschaft greif- und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Wunsch hat Lorimer mit seinem ersten Auftritt in der Schweiz definitiv erfüllt. Das Thema Schmerz ist riesig, extrem umfassend und wäre auch in einem Monat noch nicht ausreichend besprochen. Lorimer hat es geschafft, für einige einen neuen Blickwinkel auf Schmerzverarbeitung und -patienten zu öffnen. Für andere konnte bestehendes Wissen weiter vertieft bzw. auf den neuesten Stand gebracht werden. Moseley in action Manch einer mag sich gefragt haben, wie diese Erkenntnisse nach den Feiertagen am Patienten umgesetzt werden können. – Genau so, wie Lorimer es uns aufgezeigt hat: Man beginnt damit, zunächst selber sicherer im Umgang mit Schmerzen und dem zugrundeliegende Wissen zur Schmerzphysiologie, von DIM‘s und SIM‘s und den vielen weiteren kleinen Bausteinen zu werden. Das Beispiel des Eisberges verdeutlicht den Therapieansatz sehr gut. Die zehn Prozent die man davon sieht, kann man an den Patienten weitergeben. Aber es braucht die unsichtbaren 90% des Eisberges an unter Wasser liegendem Wissen, um die sichtbaren 10% verständlich und nachvollziehbar erklären zu können. Das setzt voraus, dass man sich u.a. in den Bereichen DIM‘s und SIM‘s, Graded Exposure, Graded Motor Imagery und Motivational Interviewing einliest, fortbildet und austauscht. Welcome to 2019 Wir haben auf jeden Fall vorgesorgt und diesbezüglich mit Thorsten Weidig, Lars Avemarie, Thomas Nickl und Frans van den Berg auch im 2019 die passenden Gäste im Angebot. Aus Fehlern lernen, im neuen Jahr besser werden – das haben wir uns fest vorgenommen, denn unsere Fortbildungen sollen für Euch ein rundum zufrieden stellendes Erlebnis darstellen und wir sind bemüht, dafür die besten Voraussetzungen zu schaffen. Über Euer Feedback sind wir immer dankbar: info@science2practice.ch Weiterführende Literatur- und Videoempfehlungen zum Thema Schmerz: Bücher
YouTube
Auf diesem Wege noch einmal vielen herzlichen Dank für Eure Teilnahme! Wir hoffen sehr, dass wir Euch bald wieder bei einer Veranstaltung begrüssen dürfen. David & Pascale Pascale Gränicher ![]() Eine unerwartete Verletzung kann einen ganz schön aus der Bahn werfen. Schock, Wut, Angst, Traurigkeit, Frustration, Hilflosigkeit. Gefühlsregungen, die ein Unfall oder eine Erkrankung auslösen kann. Die alltägliche Routine wird gestört, man ist plötzlich auf andere Personen angewiesen, braucht Unterstützung bei alltäglichen Verrichtungen. Dass das aufs Gemüt schlägt ist nachvollziehbar. Profis auf der Bank Für Sportler kann eine physische Beeinträchtigung, selbst wenn sie zeitlich befristet ist, neben den oben genannten emotionalen Reaktionen auch Existenz- oder Versagensängste auslösen. Einige Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Athleten diese Reaktionen während der Reha im Vergleich zu sportlich inaktiven Menschen stärker erleben und häufiger an Stimmungsschwankungen oder Bestürzung leiden. Die Mannschaft wird im Stich gelassen, der Sponsor verlängert den Vertrag nicht, der Trainer ist enttäuscht und die Fans fordern Ersatz. Das Kapital eines Athleten oder einer Athletin ist eigene Körper. Ist dieser nicht voll einsatzfähig, sinkt das Selbstwertgefühl. Das wiederum beeinträchtigt u.a. über die Ausschüttung von Stresshormonen den Fortschritt der Wundheilung und das emotionale Krankheitserleben. Die psychosoziale Reaktion auf eine Verletzung beeinflusst somit auch wie das Gewebe heilt und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, wieder an alte Leistungen anknüpfen zu können. Mental Readiness In den letzten Jahren hat sich weiter herauskristallisiert, dass die psychologische Verfassung z.B. nach VKB-Rekonstruktion ein potentiell modifizierbarer Faktor für ein erfolgreiches sportliches Comeback darstellt. Die sogenannte „Mental Readiness“ oder mentale Bereitschaft, wird entscheidend durch Emotionen, Zuversicht in die verletzte Struktur und Vertrauen ins Wiedererlangen der eigenen Leistungsfähigkeit geprägt. Im Verlauf der Rehabilitation wandeln sich anfänglich negative Emotionen zu einer zuversichtlicheren Haltung. Der Zeitpunkt dieser Wendung scheint an den subjektiv erlebten Fortschritt geknüpft zu sein. Das heisst, hat der Athlet das Gefühl es geht vorwärts, ist er auch motivierter. Dabei lohnt es sich, neben dem objektiven Verlauf auch zu erfassen, wie ready sich der Patient fühlt. Die psychologische Bereitschaft für einen Wiedereinstieg in den Sport ist genauso wichtig wie die physischen Parameter. Heutzutage werden professionelle Sportler meist gut aufgefangen und erhalten rasch kompetente Betreuung auf physischer und mentaler Ebene. Neben Familie, Freunden oder Teamkollegen ist oft auch ein Psychologe zur Stelle. Ärzte, Trainer und Physiotherapeuten klären auf, kümmern sich um den Bewegungsapparat und ermöglichen im besten Fall einen individualisierte komplikationsfreie Rückkehr in den Profisport. „Es geht schon.“ Aber wer zieht den Otto Normalverbraucher nach einer Humerusfraktur oder Achillessehnenruptur aus dem Motivationstief? Wird er über die (temporären) Einschränkungen im Alltag nach einer allfälligen OP aufgeklärt und auf einen zähen Verlauf vorbereitet? Weiss er, dass es normal sein kann, nach einem operativen Eingriff mit Schmerzen und schlaflosen Nächten zu kämpfen? Es hiess doch, alles sei dann wieder gut. Das Knie lässt sich aber kaum beugen und ist auch nach einer Woche noch geschwollen. Ist das normal? Er bezweifelt, dass ein hink freies Gehen, geschweige denn Rennen, je wieder möglich sein wird. Dass er seine Ängste in persönlichen Gesprächen mit Mental-Trainern oder Psychologen mitteilen kann, ist eher unwahrscheinlich. Auch “normale” Menschen oder Hobbysportler können nach einer Verletzung in ein Tief fallen und erleben Einbussen ihres Selbstwertgefühls. Dieser Umstand wird aber weniger beachtet. Denn sie sind in den meisten Fällen ja nicht ausschliesslich auf ihre physische Leistungsfähigkeit angewiesen. Aber auch? Der Schreiner, der wegen einer Ellbogenfraktur acht Wochen ausfällt kämpft wahrscheinlich genauso mit seinem Selbstwertgefühl wie der Handballspieler aus dem National-Team. Oder der Kunstschlosser mit OSG-Distorsion der seinen Auftrag nicht rechtzeitig fertig schafft, wird ebenso mit schlaflosen Nächten und Verlustängsten zu kämpfen haben wie die Ballerina drei Monate vor der grossen Premiere. Wie steht es mit der mentalen Bereitschaft für den Wiedereinstieg in den Job? Mit den inneren Barrieren umzugehen und sie Stück für Stück abzubauen ist ebenfalls Teil einer umfassenden Rehabilitation – auch bei Otto Normalverbrauchern. Warnzeichen Wann macht es Sinn einen Psychologen beizuziehen? Einige Indikatoren die anzeigen, dass ein Patient oder Athlet nicht klarkommt mit seiner Situation:
Die Motivation für eine anstrengende, nervenaufreibende Rehabilitation zu halten ist kein Kinderspiel. Umso mehr sind Betroffene auf die Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld, aber auch aus medizintherapeutischen Reihen angewiesen. Was Ihr als Fachpersonen beitragen könnt
Tipps für Patienten und Sportler nach einer Verletzung
Vom 22.-23.03.2019 habt Ihr die Möglichkeit praxisnahe Methoden und Techniken der von einem über die Landesgrenzen hinaus anerkannten Experten zu erlernen. Der Sportpsychologe Prof. Dr. Thorsten Weidig wird Euch die motivierende Gesprächsführung näher bringen und Werkzeuge für die Arbeit mit verletzten Sportlern bereitstellen. Tickets und weitere Infos findet ihr hier. Literatur Brewer, B.W., Linder, D.E., & Phelps, C.M. (1995). Situational correlates of emotional adjustment to athletic injury. Clin J Sport Med; 5: 241–245. Clement, D., Arvinen-Barrow, M. & Fetty, T. (2015). Psychosocial Responses During Different Phases of Sport-Injury Rehabilitation: A Qualitative Study. J Athl Tr; 50(1): 95-104. Johnston, L.H. & Carroll, D. (2000). The psychological impact of injury: effects of prior sport and exercise involvement. Br J Sports Med; 34: 436-439. McDonald, S.A. & Hardx, C.J. (1990). Affective response patterns of the injured athlete: an exploratory analysis. Sport Psych; 4:261-274. Newcomer Appaneal, R., Rockhill Levine, B., Perna, F.M. & Roh, J.L. (2009). Measuring Postinjury Depression Among Male and Female Competitive Athletes. J Sport & Psych; 31: 60-76. Webster, K.E. & Feller, J.A. (2018). Development and Validation of a Short Version of the Anterior Cruciate Ligament Return to Sport After Injury (ACL-RSI) Scale. Orth J Sports Med; 6(4): DOI: 10.1177/2325967118763763 Pascale Gränicher ![]() Strotzend vor Energie und ohne Augenringe sind wir in die Woche gestartet. Zeitumstellung sei Dank, eine Stunde Schlaf gab’s diesen Sonntag gratis oben drauf. Und habt Ihr auch das Kleingedruckte gelesen? Warum wir an der Uhr drehen Seit knapp 40 Jahren stellen wir in der Schweiz die Uhr im Frühling eine Stunde vor und im Herbst wieder eine Umdrehung zurück. Und dies, obwohl sich die Schweizer Bevölkerung 1978 gegen die Sommerzeit ausgesprochen hatte. Nach drei Jahren Zeitinsel hatten die Eidgenossen jedoch genug von den Schwierigkeiten im internationalen Verkehr, der Reisebranche oder der Kommunikation. Man beschloss 1981 sich den umliegenden Staaten anzuschliessen. Wer hat’s erfunden? Benjamin Franklin schlug in seinem satirischen Essay 1784 im Journal de Paris vor, die Schlafzeit um eine Stunde zu verlegen um Geld für Kerzen und Lampen-Öl zu sparen, beziehungsweise die Pariser früher aus den Betten zu holen. Von einer konkreten Zeitumstellung war aber noch keine Rede. Gut 100 Jahre später kämpfte der neuseeländische Insektenforscher George Vernon Hudson für die energie- und kostensparende Idee der Zeitumstellung. Er plädierte für lange Sommerabende, um mehr Licht in die Käferwelt zu bringen. Doch erst im Jahre 1907 wurde es ernst und Kanada führte als erste Nation die saisonale Zeitumstellung ein. Auch in Europa werden die Uhren mittlerweile jeweils in der letzten März- und Oktoberwoche eine Stunde vor- respektive zurückgedreht um einen grösseren Anteil Tageslicht nutzen zu können. Gepusht wurde dieser Entscheid während dem 1. Weltkrieg. Aktuell diskutiert die EU über eine Einführung der „ewigen Sommerzeit“ und somit der Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung. Die langen Sommerabende würden uns so erhalten bleiben. Finnland proklamierte vor einigen Monaten, dass durch die Zeitumstellung ein negativer Effekt auf die menschliche Gesundheit befürchtet wird. Winston Churchill äusserte sich 1934 noch ungemein positiv zur Thematik Zeitumstellung: „…[this great reform] enlarge[s] the opportunities for the pursuit of health and happiness among the millions of people who live in this country.“ Was ist nun dran an Finnlands Bedenken? …ist es wirklich schon so spät? Seit über 4 Milliarden Jahren existiert der Zirkadiane-Rhythmus, auch Biorhythmus genannt, welcher die Entstehung der inneren Uhr in den meisten Organismen vom Bakterium bis zum Menschen hervorbrachte. Diese „Master Clock“ verfügt über einen genetisch vorgegebenen Zyklus von ungefähr 24 Stunden, liegt im Hypothalamus und zählt ca. 20’000 Neuronen. Tag für Tag muss sie auf den exakten 24-Stunden-Rhythmus kalibriert werden. Dabei ist das Umgebungslicht bzw. der Übergang von Dunkel zu Hell der stärkste Zeitgeber. Der Biorhythmus tanzt aus der Reihe Sonnenlicht beeinflusst den physiologischen Schlaf-Wach-Rhythmus und somit die durch die „Master Clock“ gesteuerten Prozesse. Hormonausschüttung, motorische Aktivitäten, das Ess- und Trinkverhalten, die Körperkerntemperatur sowie der Stoffwechsel im Herzen sind nur einige davon. Der Schlaf-Wach-Rhythmus: Die Zeitumstellung verursacht eine Störung unseres Biorhythmus. In den ersten Tagen führt dies bei einigen Menschen zu vermehrter Müdigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten oder verminderter Motivation – vergleichbar mit einem Jetlag. Ein relativ kleines Übel. Das Gedrehe an der Uhr kann aber auch ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben. Beispielsweise wird ein vermehrtes Auftreten von Herzinfarkten am Montag nach der Frühlingsumstellung beobachtet. Bluthochdruck und erhöhte Herzfrequenz während der Schlafphase sind mögliche zugrundeliegende Mechanismen. https://youtu.be/2BoLqqNuqwA In der Nacht erholt sich Körper und Gehirn. Es wird repariert, entrümpelt und sortiert. Die Haare, Nägel und Knochen wachsen nach, Muskeln erholen sich, Fettstoffwechsel und Immunsystem werden reguliert. Diese Prozesse benötigen Zeit. Gerade während der Rehabilitation oder in einer intensiven Trainingsphase, die „an die Substanz geht“, nicht zu unterschätzen. Wenn im Frühling der Wecker eine Stunde früher schellt, befindet sich der Körper noch im Dämmerzustand. Der Blutdruck und das Aktivitätslevel sind tief. Dämmerungsabhängige Abläufe, wie die Ausschüttung von Schlaf-Wach-Hormonen oder die Regulation der Muskelspannung, werden ebenfalls durcheinander gebracht. In der Woche nach der Zeitumstellung wird im Schnitt pro Nacht 32-40 Minuten weniger geschlafen. Eine Störung der natürlichen Abfolge der Schlafphasen kann die körperliche und geistige Regeneration beeinträchtigen. Wer zu wenig schläft lebt ungesünder. Therapie- und Trainingsreize können nicht effizient verarbeitet und umgesetzt werden. Kürzlich erschienene Studien zeigen, wer weniger als als 6 Stunden pro Nacht schläft, ein höheres Risiko für Bluthochdruck (17%), Diabetes Mellitus (37%), Übergewicht (38%), koronare Herzkrankheit (26%) und sogar Sterblichkeit aufweist. Löst die Zeitumstellung nun Herzinfarkte aus? Laut neusten Erkenntnissen besteht eine Verbindung zwischen der Zeitumstellung und einem moderaten Anstieg von akuten myokardialen Infarkten. Vor allem in der ersten Woche nach der Frühlingsumstellung und vor allem am Montag. Mehrere Studien in Europa und den USA zeigen einen Risikoanstieg von 4 bis 29%. Ein kausaler Zusammenhang ist allerdings nicht wasserdicht geklärt. Mit einem durchschnittlichen Schlafdefizit von 32-40 Minuten pro nachfolgender Nacht bringt die Zeitumstellung unsere innere Uhr aus dem Gleichgewicht. Da Schlafmangel Motivation und Aufmerksamkeit reduziert, erhöht die Frühlingsumstellung möglicherweise die Anzahl Arbeitsunfälle in den nachfolgenden Tagen. Dennoch sprechen einige Punkte für die saisonale Zeitumstellung. Nachfolgend einige Argumente im Direktvergleich: Pro und Kontra der Zeitumstellung Con •Mini-Jetlag •Schlafmangel erhöht •Schlafqualität reduziert •Bis zu 3 Wochen Müdigkeit •Leistungsfähigkeit reduziert •Regeneration reduziert •Berufsunfallrisiko erhöht •Verkehrsunfälle erhöht •Risiko Herzinfarkt erhöht •Depressive Verstimmungen gegenüber Pro •0.01% Energieeinsparung •Aktivitätslevel bei Kindern erhöht •Anzahl Einbrüche in den frühen Abendstunden reduziert •Kriminalität am Abend reduziert •Herbstumstellung kein Einfluss Damit in einem halben Jahr alles rund läuft, zwei praktische Tipps für die kommende Frühlingsumstellung:
Und wer weiss, vielleicht hat es sich schon bald ausgedreht und ist die Zeitumstellung ist Geschichte. Weitere LinksEinen anregenden Artikel zu einem unterschätzten Risiko der Zeitumstellung findet Ihr hier. Und wer genauer wissen möchte, wie die Pflanzen wissen, wann es Zeit zum Blühen ist, sollte einen Blick in diesen TED-Ed werfen: https://youtu.be/3jIW5wW2WC0 Literatur Doleac, J.L. & Sanders, N.J. (2012). Under the Cover of Darkness: Using Daylight Saving Time to Measure How Ambient Light Influences Criminal Behaviour. SIEPR Discussion Paper; 12(4): 1-45. Itani, O., Jike, M., Watanabe, N. & Kaneita, Y. (2017). Short sleep duration and health outcomes: a systematic review, meta-analysis, an meta-regression. Sleep Med; 32: 246-256. Kuehnle, D. & Wunder Ch. (2016). Using the Life Satisfaction Approach to Value Daylight Savings Time Transitions: Evidence from Britain and Germany. J Happiness Stud; 17: 2293-2323. Lahti, T., Sysi-Aho, J., Haukka, J. & Partonen, T. (2010). Work-related accidents and daylight saving time in Finland. Occupational Medicine; 61: 26-28. Manfredini, R., Fabbian, F., Cappadona, R. & Modesti, P.A. (2018). Daylight saving time, circadian rhythms, and cardiovascular health. Internal and Emergency Medicine; 13: 641-646. Marquet, P. et al. (1997). Functional neuroanatomy of human slow wave sleep. The Journal of Neuroscience; 17 (8): 2807-2812. Münch, M. & Bromundt, V. (2012). Light and chronobiology: implications for health and disease. Brief report. Dialouges in Clinical Neuroscience; 14(4): 448-453. Schneider, A.M. & Randler, C. (2009). Daytime sleepiness during transition into daylight saving time in adolescents: Are owls higher at risk? Sleep Med; 10(9): 1047-1050. Tonetti, L., Erbacci, A., Fabbri, M., Martoni, M. & Natale, V. (2013). Effects of Transitions into and out of Daylight Saving Time on the Quality of the Sleep/Wake Cycle: an Actigraphic Study in Health University Students. Chronobiol Int; 30(10): 1218-1222. Zaslawski, V. (2018). Die Abschaffung der Zeitumstellung rückt näher – auch in der Schweiz. Neue Zürcher Zeitung; 31.08.2018. Pascale Gränicher ![]() Schmerzen sind aus dem Alltag nicht wegzudenken. Beim Kurve schneiden den Zeh an der Zimmerecke stossen, in der Sonne die Nase verbrennen, beim übereifrigen Gemüserüsten einen Finger mitschnippeln – nur einige Beispiele aus jedermanns Erfahrungsschatz. Heftiges „draufdrücken“, fluchen oder ruhigstellen lindern alsbald das Wehwehchen. Der Akutschmerz, ein sinnvolles Warnsignal das uns vor weiterer Gewebsverletzung schützt, klingt in der Regel nach der Heilung wieder ab. In den meisten Fällen. Manchmal aber auch nicht. Grob wird am Bewegungsapparat zwischen verschiedenen Faserarten unterschieden. Die schnellen A∂-Nozizeptoren unterrichten uns permanent über den Zustand des überwachten Gewebes und auch in Windeseile über akute Gefahr. Der dumpfe, gemächliche C-Schmerz macht uns auf weniger dringende Probleme aufmerksam, kann jucken und klingt gerne nach. Die schlafenden Nozizeptoren („silent nociceptors“) werden erst bei Entzündungen aktiviert. Aber einmal erwacht, sind sie schon durch schwache mechanische Reize erregbar. Was nun, wenn der Schmerz bleibt? Wenn der Rücken seit Wochen ächzt, die Schulter nach jedem Wurftraining schmerzt oder das arthrotische Kniegelenk auf allen Wanderungen reklamiert? Sind die Beschwerden chronifiziert? Wie beraten wir den Patienten und Sportler in solchen Situationen? Was sind „chronische Schmerzen“?Länger anhaltende Schmerzen am Bewegungsapparat werden in diversen Lehrbüchern ab einem Zeitraum von drei Monaten als chronisch beziffert. Was heisst das nun in der Praxis? Sind Schmerzen ab drei Monaten nicht mehr therapierbar? Nicht mehr beeinflussbar? Lebenslang? Für immer? Der Duden schlägt uns zwei Definitionen vor: chro·nisch /chrónisch / Adjektiv
Die unterschiedliche Auffassung von „chronisch“ bei medizintherapeutischen Fachspezialisten, im Gegensatz zu „unwissenden“ Patienten wird hier deutlich. Für den Laien bedeutet die von Arzt oder Therapeut ausgesprochene Diagnose „chronische Beschwerden“ ein endgültiges Urteil. Dabei wollte besagter Arzt oder Therapeut lediglich auf einen zähen Verlauf vorbereiten. Wenn der Schmerz einen Beziehungsstatus hätte, würde er wohl „it’s complicated“ lauten. Die Einteilung in zwei Grobkategorien, chronisch = für immer und akut = vorübergehend, scheint mangelhaft zu sein. Ein Merkmal das chronischen Schmerzen charakterisiert ist die „periphere und zentrale Sensibilisierung“. Bilde ich mir den Schmerz nur ein?Langanhaltender Schmerz – ob immer wieder provoziert oder konstant vorhanden – erhöht die Alarmbereitschaft des betroffenen Gebietes. Wenn wieder und wieder Schmerz- und Entzündungsmediatoren (u.a. Substanz P, Bradykinin, Prostaglandine) freigesetzt werden, senkt sich in der Konsequenz die Reizschwelle der Nozizeptoren durch die „sensitizing soup“ stark. Zusätzlich werden die stummen Nozizeptoren aktiviert (ca. 10% im Bewegungsapparat). Diese Prozesse lösen eine primäre Hyperalgesie aus – wir werden überempfindlich. Was passiert weiter? Auch Reize aus dem gesunden Nachbargewebe werden als schmerzhaft interpretiert und sogar normalerweise nicht-schmerzhafte Reize werden als schmerzhaft empfunden (Allodynie). In besonders schlimmen Fällen löst alleine die Vorstellung von Bewegung bereits einen Schmerzreiz aus, ein spezifischer oder externer Reiz ist gar nicht mehr nötig. Jeder Reiz wird als Schmerz interpretiert. Auch die WDR-Neurone (wide dynamic range neurons), welche einen afferenten Eingang für Nozizeptoren und nicht-toxische Reize haben, spielen bei diesem Prozess eine Rolle. Sie befinden sich im Hinterhorn, konvergieren eintreffende somatosensorische Reize und leiten diese ans Gehirn weiter. Bei einer zentralen Sensibilisierung läuft die Schmerzweiterleitung im Rückenmark nicht mehr differenziert ab, sondern jeder aus dem betroffenen Gebiet eintreffende Reiz, sei es Druck oder Wärme, wird im Gehirn direkt als Schmerz interpretiert. Auf kortikaler Ebene führt das zu einer Vergrößerung der Projektionsfelder dieses Körperbereichs. Das ehemals eher klein abgebildete Knie nimmt plötzlich ein Vielfaches an Raum ein. Je länger der Schmerz existiert, desto unvorhersehbarer wird er. Der Ablauf der zentralen Sensibilisierung hat nichts damit zu tun, wie lange der Schmerz bereits besteht. Schon nach wenigen Tagen kann eine sogenannte „Chronifizierung“ stattfinden. Der Zeitpunkt ab dem ein eintreffender Reiz nicht mehr differenziert wahrgenommen wird, ist ausschlaggebend. Die Beschreibung von chronischen Schmerzen durch die periphere und zentrale Sensibilisierung stützt sich somit auf neurophysiologische Veränderungen sowie psychosoziale Kontextfaktoren der Schmerzverarbeitung und nicht auf einen fest gesetzten Schmerzzeitraum von Wochen oder Monaten. Was aber umso wichtiger ist: Dieser Prozess ist beeinflussbar! Der Schmerz lässt sich in drei Dimensionen einteilen:
Bei der Betreuung von Menschen mit einer langen Leidensgeschichte ist eine umfassende Betrachtung aller Dimensionen unabdingbar. Der Einfluss von psychologischen und sozialen Faktoren spielt eine grosse Rolle. Der erste Schritt ist das Zuhören. Der zweite, das Erklären und Aufklären (pain physiology education). Dazu gehört auch eine Rekalibirierung des chronischen Schmerzes, der eben nicht für immer sein sollte. Ein weiterer zentraler Punkt ist die dosierte Steigerung der Belastung durch angepasstes Training und Exposition. Das Gewebe muss wieder an physiologische Belastungsreize herangeführt werden. Unterstützt Eure Patienten und Kunden durch Erklärungen auf Augenhöhe und motiviert sie laufend zu einer aktiven Therapie. Gut dabei im Hinterkopf zu behalten: „When you eliminate 90% of a patient’s pain, the remaining 10% is 100% what is left.“ (Crofford, 2015) …und wer noch nicht genug hat vom Thema Schmerz, der sollte sich auf keinen Fall das Tagesseminar mit Prof. Dr. Lorimer Moseley am 21. Dezember 2018 in Zürich entgehen lassen! Tickets & Infos unter www.science2practice.ch Als Einstimmung empfehlen wir zudem wärmstens folgendes Video: https://www.youtube.com/watch?v=ikUzvSph7Z4 Literatur Crofford, L.J. (2015). Chronic Pain: Where the Body Meets the Brain. Trans Am Clin Climatol Assoc.; 126: 167-183. Klinke, R., Pape, H.C., Silbernagel, S. (2003) Physiologie. 3. Auflage, Georg Thieme-Verlag, Stuttgart: 638-642. Latremoliere A, & Woolf CJ (2009). Central sensitization: a generator of pain hypersensitivity by central neural plasticity. J Pain; 10(9): 895-926. PMID: 19712899. Lee, Y.C., Nassikas, N.J. & Clauw, D.J. (2011). The role of the central nervous system in the generation and maintenance of chronic pain in rheumatoid arthritis, osteoarthritis and fibromyalgia. Arthritis Res Ther; 13(2): 211. Moseley G.L. (2004). Evidence for a direct relationship between cognitive and physical change during an education intervention in people with chronic low back pain. Eur J Pain; 8(1): 39-45. Nijs, J., van Wilgen, C.P., Van Oosterwijck, J., van Ittersum, M. & Meeus, M. (2011). How to explain central sensitization to patients with ‚unexplained’ chronic musculoskeletal pain: Practice guidelines. Man Ther; 16(5): 413-418. Phillips, K. & Clauw, D.J. (2011). Central pain mechanisms in chronic pain states – maybe it is all in their head. Best Pract Res Clin Rheumatol; 25(2): 141-154. doi:10.1016/j.berh.2011.02.005. Van den Berg, F. (2012). Angewandte Physiologie. Grundlagen Neurophysiologie, Schmerzphysiologie, Bindegewebsphysiologie. Skript zum Studiengang „MSc Sports Physiotherapy“ der Universität Salzburg. Freut Euch auf das was kommt und beschenkt Euch dieses Jahr schon etwas früher!
Denn 2018 endet (und wir starten…) mit einem Knaller: Prof. Lorimer Moseley, einer der weltweit führenden Schmerzforscher und Schmerztherapeuten, kommt am 21. Dezember 2018 nach Zürich! Er ist aber nur der erste einer vielversprechenden Reihe an Referenten, welche die Wissenschaft in die Praxis und den Trainingsraum holen. Im Frühjahr 2019 geht es direkt weiter mit Antworten auf die Frage nach sportpsychologischen Strategien bei der Betreuung von Patienten und Sportlern. Vom 22.-23. März 2019 erfahrt Ihr von Prof. Thorsten Weidig wie man motivierend kommuniziert und den Klienten im Trainings- und/oder Rehaprozess „bei der Stange“ hält. Thorsten Weidig ist ein international anerkannter und erfahrener Sportpsychologe und Ihr werdet mit ihm zwei hochinteressante, unterhaltsame und spannende Tage erleben. Für unsere Kollegen und Kolleginnen aus der Fitness- und Crossfitszene besteht ab April 2019 die Möglichkeit, Euer Wissen aus dem Trainingsbereich mit neuesten Erkenntnissen aus der Medizin zu verbinden. Mit Thomas Colshorn (Physiotherapeut und Sportwissenschaftler) haben wir einen Referenten gewinnen können, der Euch auf eine sehr sympathische Art und Weise und fachlich hochwertig, auf die Arbeit mit gesundheitlich eingeschränktem Klientel vorbereiten wird. Alle Körperregionen werden in spezifischen Modulen anatomisch, klinisch und trainingstherapeutisch betrachtet. Euch wird vermittelt, wie Ihr das Training bei Beschwerden am Bewegungsapparat anpassen könnt und was es dabei zu beachten gilt. Ein echter Benefit für Euch und Eure Kunden! Der erste Kurs findet am 5. und 6. April 2019 statt. Die Möglichkeiten der radiologischen Befunderhebung werden in letzter Zeit gerne übermässig genutzt und von einigen Seiten auch schon mal „verteufelt“. Dass die Wahrheit oft in der Mitte liegt erfahrt Ihr am 25. Mai 2019 bei und mit Thomas Nickl (Physiotherapeut MSc). Der Kurs ist darauf ausgelegt, die Interpretation der Bilder zu erleichtern, Befunde zu verstehen und diese den Patienten erklären zu können. Es wird mit Mythen aufgeräumt und die Möglichkeiten sowie die Grenzen der Bildgebung aufgezeigt. Erleichtert Euch die Arbeit und schaut rein. Merkt Euch unbedingt den 30. und 31. August 2019 vor! Lars Avemarie (Physiotherapeut und Sportwissenschaftler) kommt das erste Mal als Referent in die Schweiz. Bei der diesjährigen internationalen „Paincloud Convention“ in Oslo war Lars einer der Keyspeaker und hat die Zuschauer in seinen Bann gezogen und begeistert! Es gibt nur ganz wenige in der Szene die derart präzise und klar Wissenschaft zugänglich machen und den schwierigen Spagat in die Praxis schaffen. Sein „Neuroscientific Painmodulation Course“ ist anspruchsvoll und daher für Euch bestens geeignet. Wir sind uns sicher, Lars wird auch Euch begeistern! Und war es das? Nicht ganz, aber dazu später mehr… Pascale & David Pascale Gränicher ![]() Hot weather, squishy brains – that’s a sensation we experience today at its best. It is hard to focus if the sun constantly burns down and sweat drips tireless from and to everywhere. Heat waves are great if there is nothing else to do than enjoying a good book under an umbrella and lying on a beach while slurping a refreshing coconut. Yeah… oven-like offices and practices are definitely not the place to be. It’s hard to focus when the brain’s engrossed in coordinating body-internal cooling processes instead of thinking intelligent stuff or composing therapy programs for injured patients. Work-related injury rate seems to increase in hot weather. Due to physiological limitations (e.g. decreased blood flow, central fatigue), work capacity decreases above 26°C. As concentration and motor skills can be affected as well, the risk of mistakes and accidents has shown to augement during high temperatures. Additionally, body core temperature rises, what causes a shift from aerobic to anaerobic energy production. That means, muscle energy stores empty much faster and we get tired and heavy-handed. In summer, life takes place more outside and outdoor activities seem to predispose more accidents, too (except the under-the-umbrella-book-reading-part). But, there are some positive facts about this hot summer – besides a seamless tan and barbecue:
Remember: Your body and brain are chilling in hot weather, so try to do so, too. References Biedermann, T. et al. (2010). Human Eccrine Sweat Gland Cells Can Reconstitute a Stratified Epidermis. J Investig Dermatol; 130(8): 1996-2009 Holick, M.F. (2004). Sunlight and vitamin D for bone health and prevention of autoimmune diseases, cancers, and cardiovascular disease. Am J Clin Nutr; 80: 1678-1688. Krysiak R, Szwajkosz, A. & Okopien, B. (2018). The effect of low vitamin D status on sexual functioning and depressive symptoms in apparently healthy men: a pilot study. Int J Impot Res; doi: 10.1038/s41443-018-0041-7. [Epub ahead of print] Kjellstrom, T., Kovats, R.S., Lloyd S.J., et al. (2009). The direct impact of climat change on regional labor productivity. Arch Environ Occup Health; 64:217-227. Lambert, G.W., Reid, C., Kaye, D.M., Jennings, G.L. & Esler, M.D. (2002). Effect of sunlight and season on serotonin turnover in the brain. Lancet; 360(9348):1840-1842. Mihyang, A., Colarelli, S.M., O’Brien, K. & Boyaijan, M.E. (2016). Why We Need More Nature at Work: Effects of Natural Elements and Sunlight on Employee Mental Health and Work Attitudes. PLos One; 11(5): e0155614 Otte im Kampe, E., Kovats, S. & Hajat, S. (2016). Impact of high ambient temperature on unintentional injuries in high-income countries: a narrative systematic literature review. BJM Open; 11,6(2): e010399. Sheng, R. et al. (2018). Does hot weather affect work-related injury? A case-crossover study in Guangzhou, China. Int J Hyg Environ Health; 221(3):423-428. ![]() Die Gründung von science2practice stellt einen Meilenstein auf unserer Reise zu einer verbesserten Qualität in der Betreuung und Behandlung von gesundheitlich angeschlagenen und sportfokussierten Menschen dar. Begonnen hat die Reise konkret im September 2017 bei einer Schüssel Reis und einem Pfefferminztee. Ganz unverbindlich haben wir über unsere Vorstellungen, Wünsche, Unzufriedenheiten, Ziele und Ideen aus unserem Arbeitsalltag als Physiotherapeuten philosophiert. Zeit ist Geld. Den Patienten mit der individuell bestmöglichen Intervention zu behandeln erfordert stetiges Hinterfragen, Überprüfen, Neuausrichten und Erklären. In den meisten Fällen haben weder die Patienten oder Kunden, noch die Krankenkasse oder Therapeuten die Zeit, über „try and error“ die optimale Vorgehensweise heraus zu evaluieren. So wird das appliziert, was schon oft geholfen hat. Aus Erfahrung. Oder das, was die Patienten angenehm finden. Nach einer Massage ist noch kaum jemand unzufrieden nach Hause gegangen. Und auch kaum einmal wurde dadurch das Problem gelöst. Aber es glättet die Wogen. Temporär. Wäre es nicht schön wenn man bei der Betreuung von Patienten und Sportlern wüsste, was einerseits die Problemursache und andererseits die optimal wirkungsvolle Strategie wäre, um das Ziel zu erreichen? Ob es nun Schmerzlinderung, Überwindung einer mentalen Blockade, eine verbesserte Beweglichkeit oder mehr Kraft ist – entscheidend ist zu wissen, warum welcher Reiz gesetzt wird. Es wird viel geforscht im Bereich Gesundheit und Sport, die Ergebnisse finden aber nur ganz schwer ihren Weg auf die Behandlungsliegen und in die Trainingsräume. Warum? Fehlt die Zeit, sich mit Studien auseinander zu setzen? Fehlt der Praxisbezug? Fehlt eine konkrete Umsetzungsstrategie? Fehlt das Interesse? Wir sind überzeugt, dass wenn die Wissenschaft ihre Resultate so präsentiert, dass für die unter Zeitdruck stehenden Fachspezialisten verlässliche, wirksame Werkzeuge für Therapie und Training erkennbar werden, die Qualität der Arbeitsweise im Gesundheits- und Sportwesen merklich gesteigert werden kann. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, unseren Beitrag für eine evidenzbasierte Zukunft zu leisten. Mit science2practice erhoffen wir uns nicht einen Tropfen auf dem heissen Stein, sondern ein starkes Glied in einer Kette von wissensdurstigen Querdenkern zu sein. Und wir freuen uns darauf, mit euch anzubändeln. David Schmidt & Pascale GränicherFrischgebackene Gründer der science2practice GmbH |
AutorSchreiben Sie etwas über sich. Es muss nichts ausgefallenes sein, nur ein kleiner Überblick. Archiv
Oktober 2020
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