Pascale Gränicher Der Jojo-Effekt der Physiotherapie – Teil 1
Jeder der schon einmal in der Physiotherapie war kennt das: Man bekommt (hoffentlich) ein Übungsprogramm mit einer Empfehlung, wie oft und wie intensiv das Training absolviert werden soll. Während der ersten, zweiten, dritten oder sogar vierten Physio-Verordnung macht man vielleicht noch mehr oder weniger regelmässig seine Hausaufgaben. Wenn dann die Therapie abgeschossen wird – meistens aufgrund von erreichter (momentaner) Beschwerdefreiheit (jeey) – verschwindet der Papierschnipsel irgendwo in der Schublade, in einem tiefen Nebentäschchen des Turnbeutels oder landet direkt im Müll. Denn das Problem ist ja jetzt gelöst. Lustig eigentlich. Denn manchmal mag es tatsächlich der Fall sein, dass der ursprüngliche Grund der Beschwerden über den Zeitraum der Therapie verschwunden ist. In vielen Fällen aber – gerade bei der «Volkskrankheit» Rückenschmerzen, kommen das Zwicken, Drücken, Stechen oder Brennen so sicher wie ein Bumerang wieder zurück. Denn den Schmerzen liegt meistens nicht ein strukturelles, sondern ein habituelles Problem zu Grunde: der Bewegungsmangel. Und der löst sich nicht über ein oder drei oder zehn Verordnungen Physiotherapie! Ist ja nett, dass man während dieser Therapie-Phase ein paar Übungen macht, sozusagen im günstigen Personaltraining und seine Wirbelsäule danach besser spürt, vielleicht sogar die ominösen tiefen Bauchmuskeln kennen lernt. Aber das Bewusstsein, woher die Schmerzen kommen, wird in den meisten Fällen nicht entwickelt. Und eine Zahnbürste zu erhalten, ohne zu wissen wofür das gut sein soll, hilft nur solange, wie einem die Zähne geputzt werden. Macht nämlich auch kein Spass, aber wir haben mal verstanden, dass es eben nötig ist. Wenn der Rücken das nächste Mal schlapp macht, sucht Herr oder Frau Rückenschmerzen lieber wieder den Arzt auf und lässt sich eine frische Runde Physiotherapie verschreiben, anstatt die verstaubten Übungen aus der Schublade zu ziehen. Und weiter geht’s: Zurück auf Feld 1. Um ehrlich zu sein, finde ich es als Physiotherapeutin erstaunlich, dass sich diese Jojo-Patienten nicht langweilen… Aber das verhält sich vielleicht gleich wie bei der Diät: Die nächste wird bestimmt die Richtige sein! Und ja keine langfristigen Gewohnheiten ändern – das könnte ja noch etwas nützen… Der Jojo-Effekt der Physiotherapie – Teil 2 Es ist ein besonders schönes Erlebnis, wenn man als Physiotherapeutin eine ehemalige Patientin im Fitnesscenter antrifft und sie über 3 Jahre nach Therapieabschluss weiterhin mindestens zweimal pro Woche ihre Übungen macht! Liebe Dara.: You made my day! Dara betont, dass sie auch in einer 6-Tage-Woche auf keinen Fall auf ihr Training verzichteten möchte und hat sogar ein eigenes Trainingssystem mit Hilfe von Karteikarten entwickelt. So trainiert sie jede Muskelgruppe regelmässig und kann die «erledigten» Übungen auf das jeweilige Häufchen ablegen. Das hilft, meint Dara, um die Übersicht zu halten und nicht nur die Lieblingsübungen zu machen. Um sich selber auszutricksen sozusagen. Noch ‘ne Runde? Dara kam mit verschleppten Kniebeschwerden in die Physiotherapie. Ihr Ziel war es, wieder joggen zu können. Das war zum Zeitpunkt unseres Erstbefundes nicht möglich. Die Röntgenbilder zeigten Abnutzungserscheinungen im Tibofemoralgelenk. Die Arbeit in der Spitex forderten ebenfalls ihren Zoll. Dara war zu Beginn skeptisch gegenüber einem erneuten Anlauf in der Physio – hatte sie doch schon (weniger gute) Erfahrung mit unsereins gemacht. Und die Diagnose war auf dem Röntgenbild ja augenscheinlich – Knochen auf Knochen – das sollte man besser nix belasten, oder? Aufklärung und Erklärung warum wir was machen ist ein essentieller Bestandteil der Physiotherapie. Erst wenn die Patienten verstehen, warum wir welche Intervention als indiziert erachten und welche Rolle sie selber im Rehaprozess spielen (nämlich die Hauptrolle), ist ein erfolgreicher Verlauf (für beide Seiten) möglich. Wir Therapeuten sind nur Regisseuren. Wir geben Empfehlungen, spielen exemplarisch vor, leiten an und korrigieren. Mit abnehmender Häufigkeit und Intensität. Aber spielen muss der Patient selber. Die das können wir nicht für ihn. Und das will geübt sein. Regelmässig. Use it and use it Mit Dara fokussierten wir in der Therapie zu Beginn auf einen dosierten Belastungsaufbau und starteten ganz niederschwellig im koordinativen Bereich. Dara war selber erstaunt, dass sie gewisse Muskelgruppen anfänglich kaum ansteuern, geschweige denn in einer Bewegung zueinander koordinieren konnte. Die raschen Fortschritte durch das fleissige Üben motivierten die 40-jährige und überzeugten sie von der Wichtigkeit des (Kraft-)Trainings – auch für sie als Ausdauersportlerin. Nach und nach konnte intensiver dosiert werden und Dara kam nicht nur neuromuskulär, sondern auch konditionell an ihre Grenzen. Diese wusste sie aber gekonnt zu überspringen und pushte sich weiter. Neben dem Krafttraining lernte Dara das Gehen aus einer neuen Perspektive kennen. Eine allgegenwärtige Bewegung, die uns in die einzelnen Bewegungsabläufe unterteilt doch so fremd erscheint. Nach und nach konnten über das Lauf-ABC erste Joggingversuche gestartet werden. Und siehe da: Die Knieschmerzen blieben aus. Das extensive Intervalltraining mit Gehpausen erlaubte es Dara, sich schrittweise ans Joggen heranzutasten. Ein ausführliches Aufwärmen aller beteiligten Muskelgruppen spielte dabei stets eine wichtige Rolle. Parallel dazu spickten wir das Krafttraining mit explosiven und später reaktiven Komponenten. Selbst ist die Frau Zu betonen gilt es, dass Dara während der niederfrequenten Physio-Termine ihr Training zuverlässig und regelmässig ausübte und wir uns während der Therapielektion auf die Intensivierung, Justierung und den Feinschliff konzentrieren konnten. Dass sich Dara bei Therapieabschluss eine selbstverständliche Trainingsroutine angeeignet hatte, freute mich natürlich schon dazumal sehr. Sie hatte realisiert, dass sie alleine für ihr Knie verantwortlich ist. Dara konnte zweimal pro Woche beschwerdefrei ihre Joggingrunde absolvieren und war auch im Alltag ohne Schmerzen unterwegs. Der Transfer war geglückt. Rück(en)spiegel Dass Dara auch über 3 Jahre nach Therapieabschluss an ihrer Trainingsroutine festgehalten hat, ist natürlich unglaublich erfreulich. Umso mehr, als dass sich ihr Knie schon hin und wieder meldet, wenn sie mal ferienhalber nicht so konsequent im Fitnesscenter ist. Aber sie weiss was sie zu tun hat, um das Knie im Griff zu behalten. Und mit diesen Werkzeugen ausgestattet, dreht Dara beschwerdefrei ihre Joggingrunden. Herzlichen Dank für das tolle Feedback liebe Dara! Sie ist ein Musterbeispiel für eine Patientin, die Verantwortung übernimmt und sich bewusst ist, dass sie alleine die Zügel in der Hand hält. Wir können den Patienten die Werkzeuge bereiten und die nötige Unterstützung beim anfänglichen Einsatz bieten, aber benutzen müssen sie sie selber (wollen). Und verstehen, warum der Rücken wieder schmerzt, wenn sie es nicht tun.
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AutorSchreiben Sie etwas über sich. Es muss nichts ausgefallenes sein, nur ein kleiner Überblick. Archiv
September 2023
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