SCIENCE2PRACTICE
  • Home
  • Courses
  • Speakers
  • Blog
  • About
  • Contact
  • Link Newsletter
  • Home
  • Courses
  • Speakers
  • Blog
  • About
  • Contact
  • Link Newsletter

blog

Überschätzen und unterschätzen - „Dunning-Kruger“ und ein alter Grieche

8/5/2022

0 Comments

 
Bild
von David Schmidt

Deutschlands Unfallversicherer kommen jährlich für Schäden in Höhe von ca. 60 Milliarden Euro auf. Warum sind deren Ursachen für unsere Therapie relevant und was können wir verbessern?
 
Fehlende Konzentration, bedingt durch Selbstüberschätzung und falsche Risikobewertung, gilt als  eine der zentralen Voraussetzungen für das Entstehen von Schäden und Verletzungen.
 
Typisch menschliche Züge sorgen dafür, dass wir unsere Konzentration schleifen lassen. Wir überschätzen unsere eigenen Fähigkeiten und unterschätzen unsere Schwächen. Ein gefährlicher Mix, für den die Psychologie den Begriff der „Überlegenheitsillusion“ nutzt. Solche Verzerrungen verbessern zwar unser Wohlbefinden, machen uns optimistischer und generieren mehr Selbstvertrauen, schaffen aber leider auch die Voraussetzungen für unnötige Gefahren und Schäden.
 
Entscheidend ist:
Wer glaubt alles problemlos hinzubekommen, gefährdet schlussendlich sich und andere.
Das gilt für sorglose Pilot:innen, betrunkene Autofahrer:innen und Opa auf der Leiter am Apfelbaum. Natürlich aber auch für unsere Arbeit mit Klient:innen.
 
Beispiele aus der Wissenschaft gefällig?
  • Student:innen und Professor:innen halten sich fast alle für überdurchschnittlich begabt. Ein Phänomen, welches sich in all seiner Blüte regelmässig in den sozialen Medien beobachten lässt.
  • Autofahrer:innen schätzen ihre fahrerischen Fähigkeiten unverhältnismässig gut ein.
  • Die meisten Menschen schätzen ihren Lebenswandel gesünder,, als den ihrer Mitmenschen ein.
  • Personen mit einem niedrigen IQ bescheinigen sich selber ironischerweise öfters eines besonders hohen IQ.
  • Wertpapierhändler:innen halten sich für kompetenter als ihre Kolleg:innen.
 
Diese Liste liesse sich noch weiterführen. Es wird nur nicht besser.
 
Zwei US-amerikanische Sozialpsychologen, David Dunning und Justin Kruger, haben sich mit der Thematik der Selbstüberschätzung beschäftigt. Als ein Resultat ihrer Arbeit, ging 1999 (im Quellenverzeichnis als Januar 2000 aufgeführt) der „Dunning-Kruger-Effekt“ in die jüngere Geschichte der Wissenschaft ein. Jede und jeder akademisierte Physio und auch viele schulisch ausgebildete Kolleg:innen sollten sich bereits, mehr oder weniger intensiv, damit auseinandergesetzt oder zumindest davon gehört haben.
 
Was haben die beiden untersucht und was sagt deren Effekt aus?
 
Dunning und Kruger verglichen Selbsteinschätzung und tatsächliche Fähigkeiten in verschiedenen Alltagssituationen. Das reichte vom Sinn für Humor, über grammatikalische Kenntnisse, bis hin zu logischem Denken. Interessanterweise stellten sie fest, dass je höher die Unfähigkeit war, desto selbstsicherer waren sich die Proband:innen ihrer vermeintlichen Fähigkeiten.
 
Die vier Stufen des Dunning-Kruger Effekts sind:
 
  1. Inkompetente Menschen überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten.
  2. Überlegenheit anderer erkennen sie nicht.
  3. Sie können das Ausmass ihrer Inkompetenz nicht einschätzen.
  4. Bildung ist der Schlüssel zu mehr Kompetenz und der Fähigkeit, sich und andere besser einschätzen zu können.
 
Fazit: Je unfähiger eine Person ist, desto stärker überschätzt sie ihre Fähigkeiten, unterschätzt die Kompetenz anderer, kann es aber nicht erkennen.
 
Wie kann man dem entkommen? Schwierig. Es braucht schlichtweg Kompetenz, die eigene Inkompetenz zu erkennen. Schon der griechische Philosoph Sokrates (469-399 v. C.) erkannte, „Ich weiss, dass ich nichts weiss.“

Was für eine scheinbar einfache, aber reflektierte Erkenntnis! Bloss, wo stehen wir heute? Auch 2400 Jahre später sind wir noch nicht viel weiter. Besonders in den sozialen Medien kann der Dunning-Kruger-Effekt in all seiner dramatischen Tragik fast täglich verfolgt werden. Man könnte drüber lachen, wenn es nur nicht so bitter wäre. Welche Möglichkeiten wir haben die eigene Kompetenz zu stärken, erklären wir gleich.
 
Neben der klassischen Selbstüberschätzung wissen wir noch um einen anderen, daraus resultierenden, Effekt: die „Risikokompensation“
 
Sie zeigt, dass unsere Konzentration nachlässt, wenn wir uns sicher fühlen.

Dazu gibt es spannende Beispiele aus der Verkehrsforschung:
In den Achtzigerjahren setzte sich mehr und mehr das heute standardmässige Anti-Blockiersystem „ABS“ durch. Infolgedessen hatten sich Forscher:innen das Fahrverhalten von Taxifahrer:innen in der Stadt München angesehen und festgestellt, dass diese plötzlich sorgloser fuhren und mehr Unfälle verursacht haben. Ein ähnliches Phänomen stellte man in verschiedenen Ländern nach der jeweiligen Einführung der Gurtpflicht fest.

Das teils etwas schwierige Verhältnis zwischen Auto- und Fahrradfahrer:innen wurde ebenfalls genauer untersucht. Auch hier fanden sich Hinweise auf eine Risikokompensation im Strassenverkehr. Die Autofahrer:innen fuhren durchschnittlich 8,5cm näher an Fahrradfahrer:innen heran, die einen Helm trugen und schnitten sie sogar umso mehr, je näher diese am Strassenrand fuhren. Wenn sich jedoch der oder Fahrradfahrer:in ganz selbstverständlich oder störend (je nach Sicht der Verkehrsteilnehmer:innen…) weiter links auf der Strasse befanden, wurden diese grosszügig umfahren.

Umgekehrt gehen die Unfallzahlen schlagartig zurück und die Konzentration verbessert sich messbar, wenn es zu drastischen Änderungen im Strassenverkehr kommt. Wie beim Wechsel vom Links- zum Rechtsverkehr 1967 in Schweden. Dieser positive Effekt hielt für zwei Jahre an, danach normalisierten sich die Unfallzahlen leider wieder auf dem vorherigen Niveau.
 
Fazit und Fragen zur latenten Selbstüberschätzung und Risikokompensation bei uns Therapeut:innen
 
Wie beeinflussen Selbstüberschätzung und Risikokompensation die Arbeit mit unseren Klient:innen? Sehen wir den uns zugewiesenen und durch uns evtl. nur noch oberflächlich befundeten (Dauer)-Klient:innen als „helmtragend“, da er oder sie bereits vom Arzt oder der Ärztin voruntersucht und zugewiesen wurde? Dient uns unsere Ausbildung oder unser Studium als vermeintlicher „Sicherheitsgurt“ und all die Fortbildungen als ABS-System zur Nutzung dieser Techniken und Methoden in unserer täglichen Arbeit?

Folgen wir wirklich noch einem individuellen Behandlungsansatz oder wird der Grossteil unserer Klient:innen, unabhängig von der Diagnose, direkt zum neuen Allheilmittel Kreuzheben geschickt, nur „schmerzedukativ“ vollgetextet oder arbeiten wir überwiegend nur mit einer der zu hinterfragenden Methoden wie beispielsweise MT, FDM, Dry Needling oder weiss der Teufel was? Gerade bei unseren individuell unterschiedlichen Lieblingsmethoden, wie den eben genannten diversen Allheilmitteln, zeigt sich der Dunning-Kruger Effekt ganz wunderbar.

Durch generiertes Halbwissen, gepaart mit einzelnen Erfolgsmomenten (wodurch auch immer) verstärkt sich die therapeutische Selbstüberschätzung massiv und wird erst durch intensives Lernen aus belastbaren Quellen, welches die tatsächliche Kompetenz stärkt, wieder relativiert.

Ich nehme mich da persönlich als beispielhaften Therapeuten. Nach meiner MT Fortbildung, welche über drei Jahre ging und insgesamt bescheuerte 120000km durch Fahrten aus der Schweiz nach Nordrhein-Westfalen zur Fortbildung und den Lerngruppen beinhaltete, habe ich in den ersten paar Jahren gefühlt Jede und Jeden manualtherapeutisch untersucht und behandelt. Sehr oft wurde dabei manipuliert. Natürlich haben sich hin und wieder auch Erfolge eingestellt, die meine anfängliche Überzeugung der MT noch verstärkt haben. Mit der Zeit musste ich aber realisieren, dass diese Therapiemethode nicht den Stellenwert in meiner Therapie besitzen sollte, den ich ihr zugestanden habe. Sie wird, wie so einige therapeutische Wunderwaffen, heillos überschätzt. Eine bittere Erkenntnis für mich, wenn ich alleine nur an den zeitlichen Aufwand und die Kosten zurückdenke. Vom Lern- und Prüfungsstress nicht zu reden.
 
Mit dem fehlerhaften Einschätzen bzw. Überschätzen der eigenen Fähigkeiten, den daraus vermeintlich resultierenden heilenden Effekten unserer Arbeit, bei gleichzeitiger Vernachlässigung anderer Einflussfaktoren (Yellow-flags, red-flags, Nebendiagnosen, Medikamente, Trainingszustand/-verhalten, Adhärenz, psycho-soziale Einflüsse etc.) und der Fixierung auf bequeme Denkmodelle verhält es sich bei uns vermutlich leider oftmals ähnlich, wie bei den zuvor beschriebenen Verkehrsteilnehmer:innen und Versicherungsnehmer:innen.
 
Wie also kann der Dunning-Kruger Effekt vermieden bzw. möglichst gering gehalten werden?
 
Bescheidenheit
Bleib bescheiden und demütig. Keiner weiss alles. Denk an Sokrates. Das Prinzip gilt für Dich, Deine Kolleg:innen und insbesondere auch den Chef oder die Chefin.
 
Selbstreflexion
Hinterfrage Dich und Deine Arbeit. Sei ehrlich zu Dir selber bei der Beantwortung der Frage, wo Du Dich verbessern könntest. Du musst Deine Erfolge nicht klein reden, aber solltest sie auch nicht überbewerten.
 
Disziplin
Stetes Lernen um sich weiterzubilden braucht vor allem Disziplin. Das meiste Wissen kannst Du über regelmässiges Lesen qualitativer Studien selber generieren. Das braucht keinen relevanten finanziellen Einsatz. Dazu kannst Du Kongresse besuchen, vereinzelte Fobis besuchen (wenn evidenz- und nicht eminenzbasiert) und Dich über die aktuellste Literatur auf dem Laufenden halten.
 
Feedback
Hol Dir ehrliches Feedback über Dein Wissen und die Qualität Deiner Arbeit bei Leuten ein, die das beurteilen können. Das sind eher seltener Patient:innen, dafür bei reflektierten Kolleg:innen, Zuweiser:innen und Dozent:innen.
 
Was können wir ganz praktisch machen, um unsere therapeutische Qualität und tatsächliche Leistungsfähigkeit zu steigern, ohne sorglos zu agieren?
 
  • Wir können lernen, wie man Studien suchen, finden, lesen und interpretieren kann und so unabhängiger von den Meinungen Dritter werden.
  • Wir können anfangen die Wirkungen, Wechsel- und Nebenwirkungen von Medikamenten auf die Symptomatik, Therapie und Training unserer Klient:innen in die Therapie einzubeziehen.
  • Wir können uns vornehmen, jeden Abend eine bestimmte Anzahl Seiten eines Buches für Differentialdiagnosen zu lesen. Am Wochenende gerne auch ein paar mehr.
  • Wir können uns auf den aktuellen Stand der Trainingsphysiologie und Trainingsplanung bringen und sollten uns nicht davor scheuen, Patient:innen auch mal bis an sein/ihr Limit zu belasten.
  • Wir können uns mit therapeutischen Leitlinien beschäftigen und versuchen diese bestmöglich in den Alltag zu integrieren.
  • Wir können an unserer Kommunikation arbeiten, zum Beispiel über Motivational Interviewing oder sportpsychologische Kurse.
  • Wir können uns endlich von unserem erlernten Anspruch verabschieden, alle PatientInnen heilen zu müssen. Das tun wir nicht und das ist auch nicht schlimm.
  • Wir können unsere Klient:innen tatsächlich einfach so behandeln, wie wir es uns für uns auch wünschen würden. Seriös befunden, ehrlich und empathisch kommunizieren und so therapieren, dass unsere Klient:innen selbständig ihre Beschwerden und eventuellen Defizite angehen können.
 
Zu allen Tipps können wir Euch auf Nachfrage Empfehlungen geben.
 
Wir hoffen Ihr könnt mit diesem Blogbeitrag etwas anfangen und wünschen Euch viel Spass bei der Umsetzung!
 
 
Quellen
Biehl, B. (1986, 30. November). Einfluss der Risikokompensation auf die Wirkung von Verkehrssicherheitsmassnahmen am Beispiel ABS. TRB Transportation Research Board. https://trid.trb.org/view/1016024
 
E.V., D. G. U. (2021, 12. Juli). DGUV: Entschädigungsleistungen. DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. https://dguv.de/de/zahlen-fakten/entschaedigung/index.jsp
 
Kruger, J. & Dunning, D. (2000, 1. Januar). Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One’s Own Incompetence Lead to Inflated. . . ResearchGate. https://www.researchgate.net/publication/12688660_Unskilled_and_Unaware_of_It_How_Difficulties_in_Recognizing_One%27s_Own_Incompetence_Lead_to_Inflated_Self-Assessments
 
GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. (2022) https://www.gdv.de/de/zahlen-und-fakten/versicherungsbereiche/ueberblick-24074
 
Walker, I. (2007). Drivers overtaking bicyclists: Objective data on the effects of riding position, helmet use, vehicle type and apparent gender. Accident Analysis & Prevention, 39(2), 417–425. https://doi.org/10.1016/j.aap.2006.08.010
 
Wilde, G. J. S. & Trimpop, R. (1994). Challenges to Accident Prevention. STYX Publications, Groningen, Netherlands.
 

0 Comments

Your comment will be posted after it is approved.


Leave a Reply.

    Autor

    Schreiben Sie etwas über sich. Es muss nichts ausgefallenes sein, nur ein kleiner Überblick.

    Archiv

    Februar 2025
    September 2023
    Juli 2022
    Mai 2022
    Januar 2022
    Dezember 2021
    September 2021
    Juli 2021
    Mai 2021
    Oktober 2020
    September 2020
    August 2020
    Mai 2020
    April 2020
    Dezember 2019
    November 2019
    August 2019
    Juli 2019
    April 2019
    Februar 2019
    Januar 2019
    Dezember 2018
    Oktober 2018
    September 2018
    August 2018
    Juli 2018

    Kategorien

    Alle

    RSS-Feed

Picture
science2practice GmbH
EVIDENZBASIERTE FORTBILDUNGEN
Asylstrasse 32
CH-8708 Männedorf

Email:  [email protected]
Telefon: +41 (0) 78 642 05 97

    wir halten dich auf dem laufenden

Newsletter abonnieren
> AGBs

> Datenschutzerklärung

> Impressum