Der Bundesrat hat am 16.08.2023 zwei Vorschläge für die zukünftige Abrechnung für Physiotherapeut*innen in der Schweiz bekannt gegeben (1). Beide Varianten, die der Bundesrat vorschlägt und die im Faktenblatt zur Tarifstruktur der Physiotherapie vom BAG beschrieben sind (2), hätten massive Einbussen für Schweizer Physiotherapeut*innen zur Folge und würden das Fortbestehen von Physiotherapie-Praxen und somit direkt die physiotherapeutische Versorgung im Land gefährden. VARIANTE 1 In der ersten Variante des Bundesratsvorschlag soll die Tarifposition 7311 zukünftig nur noch für explizite Diagnosen erlaubt sein. Weiter werden folgende Behandlungsarten mit zeitgebundenen Sitzungspauschalen definiert: Was konkret die neue Tarifposition «kurze Sitzungen» beinhalten soll bzw. bei welchen Diagnosen diese zur Anwendung kommt, ist bis dato nicht definiert. VARIANTE 2 In der 2. Variante werden beide bisherigen Tarifpositionen auf min. 20min Behandlungsdauer festgesetzt und mit identischen Taxpunkten (TP) bewertet. Für eine Verlängerung der Behandlungsdauer auf 45min (7301) resp. 75min (7311) gilt für beide Tarifpositionen 8 TP pro weitere 5min: Unklar ist, ob für administrative Tätigkeiten in Abwesenheit der Patient*innen ebenfalls +5min mit 8 TP abgerechnet werden können. Der einzige Unterschied zwischen den Tarifpositionen 7301 und 7311 läge somit bei Variante 2 in der Dauer und nicht der Komplexität der Behandlung oder der Diagnose. WIE LANGE BEHANDELN PHYSIOTHERAPEUT*INNEN AKTUELL? Physiotherapeut*innen behandeln in der Schweiz bei der Position «7301» im Durchschnitt 30min und sie verbringen zusätzlich 9min pro Patient*in mit administrativen Tätigkeiten (3). Bei der Abrechnungsposition 7311 werden durchschnittlich 40min Behandlungszeit aufgewendet und wiederum 9min Administrationszeit verbraucht. Beide Administrationszeiten werden nicht separat bzw. effektiv vergütet, sondern sind in den aktuell geltenden Taxpunktwerten enthalten (3). Einschub “Aufwändige Physiotherapie”: Nicht ganz klar scheint zu sein, dass die Therapie einer “aufwändigen Diagnose” in erster Linie mehr Fachkompetenz, eine spezialisierte Aus- und Weiterbildung sowie in der Regel mehr Berufserfahrung und eine komplexere Befund- und Behandlungsplanung voraussetzt. Eine “aufwändige Physiotherapie” dauert somit nicht unbedingt länger als eine “allgemeine Physiotherapie”, sondern verlangt eine anspruchsvollere, in der Regel engere Betreuung der Patient*innen mit aufwändigerer Vor- und Nacharbeit, z.B. interdisziplinärem Austausch, in Abwesenheit der Patient*innen. Die Reduktion des Begriffs “aufwändig” auf eine rein zeitliche Komponente ist daher nicht nachvollziehbar und in keiner Weise mit einer höheren Behandlungsqualität gleichzusetzen. KONSEQUENZ DER GEPLANTEN TARIFEINGRIFFE FÜR DIE PHYSIO-PRAXIS VARIANTE 1 Für Praxen, welche die aktuelle Position 7301 mit 25-30min Behandlungszeit oder die Position 7311 mit 45min planen, wird sich ab 1. Januar 2025 nicht viel ändern. Oder anders gesagt, es verbessert sich nichts. Für Praxen mit kürzeren Behandlungszeiten bei Tarifposition 7311 könnten sich ab 2025 jedoch folgende Änderungen bzgl. Umsatz pro Stunde ergeben (Abbildung 1): VARIANTE 2 Unabhängig von der Tarifposition bzw. unabhängig davon, ob die/der Patient*in eine aufwändige Therapie benötigt, würden bei Variante 2 sowohl für 7301 als auch für 7311 nur noch 32 Taxpunkte für die Grundbehandlungszeit von 20min verrechenbar. Somit sind auch bei Variante 2 mit erheblichen Umsatzeinbussen bei Termindauer, welche der aktuellen Norm in der Schweiz entsprechen, zu rechnen (Abbildung 2). ACHTUNG: Der Umsatz pro Behandlung reduziert sich bei 75min-Terminen um CHF 14 bzw. ca. 20% ab 2025. Wird für die Position 7311 60min Behandlungszeit kalkuliert, entstehen vermeintlich zwar ca. 24.7% höhere Einnahmen, nur kommt derselbe Taxpunktwert wie für die Position 7301 zur Anwendung. Wenn man davon ausgeht, dass die Mehrheit der Therapeut*innen im 30min-Takt arbeiten und dafür bei der Tarifposition 7311 aktuell mit 77 Taxpunkten abrechnen können, ist die Reduktion auf 48 Taxpunkte für den gleichen Zeitraum eine direkte Umsatzeinbusse von 38%. FAZIT Wenn eine dieser beiden Varianten, welche der Bundesrat als «minimaler Eingriff» in die Tarifstruktur bezeichnet, zur Anwendung kommt, kann sich jede Praxis die zukünftigen Umsatzeinbussen ausrechnen. Es gibt bis dato keine Evidenz, dass eine zeitgebundene Therapie eine verbesserte Behandlungsqualität bewirkt. RANDNOTIZ Ob Behandlungs- und Administrationszeiten in Physiotherapie-Praxen heutzutage effektiv genutzt werden bzw. wie diese effizienter gestaltet werden könnten, wird hier nicht weiter diskutiert oder ausgeführt. Dazu verweisen wir bereits auf einen Blogbeitrag, der nächstens bei science2practice publiziert wird. QUELLEN
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5 Kommentare
Fabian Kress
21/9/2023 20:48:41
A. Längere Behandlung ist tatsächlich kein Garant für bessere Therapie.
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reygel hilde
22/9/2023 16:16:08
Danke für eurem Engagement.
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Thomas
28/9/2023 08:04:16
Vielleicht mal es anderes Ansichtspunkt...:
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Fabian
28/9/2023 23:24:37
Lieber Thomas, ich teile Deinen Wunsch einer Verbesserung. Aber wo ich Fragen habe:
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Jones
5/10/2023 11:27:42
Erstmal an science2practice. Vielen lieben Dank für euer evidentes Aufräumen mit vielen Vorurteilen und Teils veralteten und falschen Ansichten. Ihr Kommentar wird veröffentlicht, sobald er genehmigt ist.
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AutorSchreiben Sie etwas über sich. Es muss nichts ausgefallenes sein, nur ein kleiner Überblick. Archiv
September 2023
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